Menschliche Fachkraft
„Es wird eine menschliche Fachkraft in den Patient*innen Raum null sieben gebeten“, ertönt die automatische Stimme über die Lautsprecher. Also verlasse ich den Pausenraum, um in Richtung Zimmer sieben zu laufen. Ich klopfe an und betrete daraufhin den Raum. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, höre ich mich schon fast so monoton fragen wie meine mit künstlicher Intelligenz betriebenen Roboter-Kollegen. Diese wurden eingestellt, da zu viel Fachkräftemangel herrschte. Seitdem haben sich meine Aufgaben verändert, ich bin nun primär zuständig für den direkten Umgang mit unseren Patient*innen und weniger für Operationen und andere Behandlungen.
„Werde ich wirklich sterben?“, werde ich von dem Patienten gefragt. Ich unterdrücke mein Seufzen und zwinge mich dazu, möglichst optimistisch zu klingen. „Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein, die Möglichkeit zu sterben besteht definitiv. Dennoch ist bei Ihnen eine hohe Wahrscheinlichkeit vorhanden, nach der Chemo-Therapie Ihr Leben wie gewohnt fortführen zu können.“ Nach kurzem Zögern erwidert er: „Wissen Sie, ich bin sehr verunsichert, und ehrlich gesagt, auch ziemlich pessimistisch. Denn nach den neusten Informationen der heutigen Untersuchung hat mir Ihr Kollege Robi-1 mitgeteilt, wie meine Chancen aussehen.“
Ich verlasse den Raum eines mittlerweile optimistischeren Patienten und berufe ein Teammeeting. In dem Moment, in dem alle eingetroffen sind, bitte ich erneut meine KI-betriebenen Kolleg*innen, meine menschlichen Kolleg*innen und mich die Aufgabe, Patient*innen die Ergebnisse der Untersuchungen zu überbringen, zu überlassen. Ich sehe, wie Robi-1 den gelben Knopf in seiner Bauchgegend drückt, und daraufhin ist eine synthetische Stimme zu hören: „Audiowiedergabe aktiviert.“ Robi-1 beginnt Rückmeldung zu geben. „Einspruch von meiner Seite. Ich erhalte Anweisungen. Die Anweisung lautete, Informationen weiterzugeben. Die Frist lag bei 15.30 Uhr. Aber Ihre 30-Minuten-Pause haben Sie um 15.02 Uhr gestartet. In Ihren Pausen ist jeglicher Kontakt untersagt. Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste den Auftrag ausführen.“ Der gelbe Knopf wird erneut getätigt, also ertönt die Stimme automatisch: „Audiowiedergabe deaktiviert.“
Diese Diskussionen sind sinnlos, mit menschlichen Mitarbeitern würde man solche Themen niemals besprechen müssen. Doch die mit KI-betrieben Roboter sind durch ihr System so gesteuert, dass sie nur die Befehle eines anderem Systems befolgen können.
In Gedanken bin ich bei dem Artikel, den ich in der Pause gelesen habe. Darin ging es um die Mitarbeitersituation in verschiedenen Krankenhäusern. Ein großer Teil des Artikels behandelte die Unterschiede zwischen Menschen und Robotern. Die Autorin hat Recht, Fehler, die mir passieren könnten, aufgrund von Müdigkeit oder fehlender Konzentration, würden einem Roboter niemals passieren. Doch eine Sache habe ich, die Roboter nicht haben, und das ist die Empathie. Diese ist im Umgang mit Menschen viel wichtiger, als viele denken. Und wie wichtig sie ist, wird mir an jedem einzelnen Arbeitstag bewusst, an dem ich mindestens einem Menschen die Angst vor der nächsten Behandlung, der nächsten Operation oder (Vorschlag: vielleicht sogar vor dem Sterben) etwas anderem nehmen kann.
‚Noch 45 Minuten, dann habe ich auch diese Schicht erfolgreich hinter mich gebracht‘ – das ist der einzige Satz, mit dem ich mich selbst motivieren kann, den Routine-Rundgang am Abend durchzuführen. Ich öffne die Tür zu Zimmer 13 und bin schockiert, eine bewusstlose Patientin auf dem Boden liegen zu sehen. Ich aktiviere den Notfallknopf und sofort werden sämtliche Mitarbeiter informiert. Der Oberarzt spricht die Diagnose aus, vor der wir uns alle gefürchtet haben: „Myokardinfarkt“.
Stille.
Niemand hat diesen Herzinfarkt kommen sehen. Ein schlechtes Gewissen überkommt mich, da ich diese Patientin heute und die letzten Tage betreut habe. Habe ich die Anzeichen übersehen? Wäre das einem Roboter auch passiert? War es meine Schuld?