Gut.
Mehr als ein gedämpftes Lachen kommt aus meiner Kehle nicht heraus. Ein Video, welches ich sonst superwitzig gefunden hätte, entpuppt sich nun als eine Qual für mich. Ich möchte nämlich nicht lachen. Nicht bevor alles so ist, wie es davor war. Aber irgendwie musste ich meinen technischen „Freund“ abschütteln, denn ES hat die Anweisung, mich niemals alleine zulassen, wenn ich traurig bin. Sobald es meine Reaktion registriert, macht es sich auf den Weg, um meine perfekt mit Nährstoffen angereicherte Mahlzeit zu präparieren. Dass sie, egal, wie sie zubereitet wurde, jedes Mal schmeckt wie ein zäher und trockener Weinkorken, auf dem man für mindestens drei Monate herumkauen könnte, interessiert niemand. Das Einzige, was SIE interessiert, ist, ob man auch wirklich alles aufgegessen hat, aber das können sie ganz einfach durch ihre Kameras, die gefühlt schon in jeder Ecke meines „Zimmers“ (Wohneinheit H, Raum 469) eingebaut sind, herausfinden.
Ich schaue mich um und mein Blick fällt auf meinen Kleiderschrank, in dem sich beinahe identische Klamotten aneinanderreihen. Sie sind fast alle grün, weil Grün die Farbe ist, die meinem Bezirk und meiner Altersklasse zugeteilt wurde. Nur ein weißes Kleid hängt allein unter den restlichen Klamotten. Es ist Pflicht, es ausschließlich am Freiheitstag zu tragen. Ich liebe die Ironie an diesem Tag, jeder feiert die vielen Möglichkeiten, die es nur wegen der hier herrschenden Gerechtigkeit gibt, aber in Realität sind wir wie Tiere im Zoo eingesperrt, werden beobachtet, gefüttert und führen tagein tagaus das gleiche Leben.
Die anderen finden es großartig, weil sie es nicht besser wissen und es anders auch nicht wahrhaben wollen. Sie sind viel zu faul und bequem, ihr sicheres Leben aufzugeben, doch sie haben auch Angst. Furcht allein vor dem Gedanken, was passieren könnte, würden sie versuchen auszubrechen. Ich musste am eigenen Leib heute erfahren, was passieren würde.
Ich habe es versucht, ich habe gekämpft, aber ich bin gescheitert.
Trotz des über mehrere Jahre vorbereiteten Plans bin ich gescheitert. Eigentlich sollte ich gar nicht mehr leben, aber aktuell sinkt die Einwohnerzahl wegen eines Virus immer weiter und noch einen „unnötigen“ Verlust hätten sie sich nicht erlauben können.
Sie haben mir versprochen, dass alles gut werden würde und sie mir bei meinen mentalen Problemen ganz sicher bald helfen könnten. Leider ist die Sache die: Ich habe keine mentalen Probleme, sondern einfach nur eine Meinung. Aber diese Meinung gefällt ihnen nicht und sie werden sie mir sicher bald austreiben. Ich weiß noch nicht wie, aber mir ist schon längst aufgefallen, dass dies hier nicht mein Zimmer ist, sondern nur eine Attrappe. Obwohl ich mein Zimmer fast nicht eingerichtet habe, ist mir allein angesichts der Tatsache, dass mein verstecktes Telefon, welches mein einziger Kontakt zur Außenwelt war, sich nicht mehr unter der Klospülung in einem Plastikbeutel befindet, ein Licht aufgegangen. Wir dürfen in unseren Zimmern keine Fotos aufhängen, da diese UNS in den Vordergrund rücken und das zu einem ungesunden selbstverliebten Bewusstsein führen könnte. Blödsinn.
Also, was wird passieren? Ich weiß es nicht.
Ich habe so tief und fest geschlafen wie noch nie. Nachdem ich meine schönen grünen Kleider angezogen habe, mache ich mich sofort auf den Weg zum Frühstück. Ich habe ordentlich Appetit und versschlinge das Essen innerhalb weniger Minuten. Mein Freund bleibt stehts an meiner Seite und wir unterhalten uns ausgelassen über das, was wir heute machen müssen und wie es mir geht.
Ich erzähle ihm, dass ich mich heute so gut wie seit langem nicht mehr fühle.