01001011 01100101 01101001 01101110 00100000 01010100 01101001 01110100 0110010 01100101 01101100
Einst hat irgendein alter Typ mal gesagt, dass der Mensch die ,,Krönung der Evolution" sei und dass alle ,,irdischen Kreaturen ihm zu Füßen liegen". Mittlerweile weiß ich nicht, ob das noch auf unsere Zeit zutrifft.
Gaia. Ein erdähnlicher Planet, der von zwei Monden umkreist wird und sich im Kepler-System befindet. lrgendein verrückter Wissenschaftler hat ihn entdeckt und versucht, den Rat der Vereinten Nationen der Erde davon zu überzeugen, dass es eine gute ldee sei, einen Roboter hinzuschicken, um den Planeten zu kolonisieren. Als sein Antrag abgelehnt wurde, hat er es dann einfach allein durchgezogen. Und jetzt mussten ich und 23 andere Sträflinge diesen Mist wieder bereinigen. ,,Eine Stunde und 24 Sekunden bis zur Landung", sagte mein Helm. Also natürlich nicht mein Helm, sondern die Kl dadrinnen, aber egal. lch setzte mich hin. Angst kroch mir den Rücken hinunter und ich hasste mich für meine Schwäche. Dieser Scheiß-Rat, wieso mussten sie ausgerechnet mich auf diese Selbstmordmission schicken. ,,Wenn Sie schlafen wollen, tun Sie es lieber jetzt." Langsam nervte mich diese Möchtegern-weibliche Kl-Stimme. lch öffnete die Pillentasche an meiner schussresistenten Weste und sah mir die große Auswahl an. ,,Grau wie ein Stein, du schläfst gleich ein, Blut, das ist rot, du bist gleich tot", sang ich wie ein kleines Kind dazu. Wie typisch von diesen Arschgeigen, uns eine Selbstmordpille mitzugeben. lch steckte mir die graue in den Mund und schlief wenige Sekunden später ein.
lch erwachte davon, dass unser Schiff abstürzte! Trotz der Drogen in meinem Körper war ich direkt hellwach. lch schrie meinen Helm an, während sogar die taffsten, größten Kriminellen herumjammerten. ,,U, Statusbericht, sofort!" ,,Es scheint, als würden wir abstürzen." ,,No shit, Sherlock", schrie ich den Helm an. Na gut, wenn mich sogar schon mein Helm verlassen hatte, konnte ich ja auch direkt draufgehen. lch sah aus dem Fenster; wir waren bereits in Gaias Atmosphäre, es war gerade Sonnenuntergang. Und die Turbine brannte. lch setzte meinen Helm auf, schob die Sauerstoffmaske über Mund und Nase und nahm drei Fallschirme auf einmal. Es könnte klappen. ,,Hey, du da", schrie ich einen Typen an, der so aussah, als hätte er die Nerven noch nicht komplett verloren. ,,Komm mit, setz dir deinen Helm auf, nimm den Feuerlöscher mit und so viele Fallschirme, wie du tragen kannst, okay?" Der Typ nickte, auf seinem Helm stand die silberne Nummer Drei. ,,U, kann ich rausgehen, ja oder nein?", schrie ich in meinen Helm. ,,Nein, der Druck würde Sie direkt aus dem Schiff reißen", sagte mein Helm mit gespielt fröhlicher Stimme. ,,Wann dann?" ,,In einer Minute und zwölf Sekunden. Sie hätten ein Zeitfenster von maximal einer Minute und zwei Sekunden. Ich stelle einen Timer." Endlich einmal etwas Nützliches, dachte ich. Drei stand neben mir. ,,Bereit?", fragte er. lch nickte. lch sah auf die Uhr und wir gingen hinaus ...
Der Aufprall war härter, als ich gedacht hatte. Als ich meine Augen aufmachte, lag ich in irgendeiner moosartigen violetten Pflanze. ln meinen Ohren klingelte es. lch war ungefähr fünfzig Meter von meinem Schiff entfernt. Wir waren in einem Wald gelandet. Die untergehende Sonne, das noch brennende Schiff und die violetten Blätter der riesigen Bäume, das alles sah zu perfekt aus, als dass ich es jemals für möglich gehalten hätte, das hier sehen zu dürfen. Drei kam zu mir und half mir vom Boden auf. ,,Vier, Neunzehn und Dreiundzwanzig sind tot. Wir haben keine Ahnung, wo Zwei und Neun sind, und Zweiundzwanzig und Elf sind schwer verletzt." All das musste ich verarbeiten, während ich zurück zum Schiff humpelte. Sechs und Achtzehn kamen uns entgegen, sahen Drei an und schüttelten die Köpfe. Fast ein Drittel unserer Crew war tot und wir waren unserem Ziel noch kein bisschen auf der Spur. lch setzte mich auf eine Kiste und sank in mich zusammen. ,,Acht und Vierundzwanzig sind die Umgebung absuchen", hörte ich Achtzehn sagen. Sechs gab mir einen Nahrungsriegel und fragte mich, ob ich denn noch gehen könnte. lch nickte nur und erwiderte, dass ich nur ein bisschen Zeit brauchen würde. Sechs ging zu den nächsten Bedürftigen und ich wollte einfach nur noch schlafen.
Da hallte der Schuss durch den Wald.
Es gibt immer diese Millisekunde von Stille, in der die lnformation erst einmal zum Hirn des Menschen gelangen muss. Bei einem Sprinter kann man das sehr schön sehen. Das Startsignal ertönt, die Muskeln spannen sich an und dann geht die Hölle los! Das hier war nichts anderes. Für einen Moment war alles absolut still. Dann spannten sich die Muskeln der Überlebenswilligen an und alle rannten zu den Waffen, auch ich.
lch schnappte mir ein Jagdgewehr. Dieses wilde ziellose Herumgeballere der Maschinengewehre hatte es mir noch nie angetan. Viel zu laut, Munitionsverschwendung und außerdem überhaupt keine Finesse. Alle versammelten sich um Drei herum. ,,Okay. Bevor hier alle gleich herumrennen und keinen Plan haben, sollten wir erst einmal überlegen ..." Nachdem uns Drei eingeteilt hatte, war ich in dem Scout-Team, das dem Klang des Schusses folgen würde. Na, super.
Wir fanden Acht. Tot. Aufgespießt mit einer glatten, weißen Metallstange. Während um mich herum alle ausrasteten, fragte ich mich eine Sache: Woher kam dann der Schuss? An keiner Stelle in Achts Körper war eine Schusswunde.
Das Projektil fand ich dann wenige Minuten später in einem gegenüberliegenden Baum. Acht hatte geschossen, nicht unser mysteriöser Angreifer. Meine Theorie wurde durch das Magazin bestätigt, welches in der Nähe der Leiche gefunden wurde. lm Magazin fehlte eine Kugel. Meine Gedanken wurden von einer tiefen Stimme unterbrochen, die wohl Eins gehören musste: ,,Leute, ich glaub, wir sollten zurückgehen. Also, ich meine ja nur, es wird schon echt dunkel und so finden wir gar nichts. Da wäre es doch klüger zurückzugehen und den anderen alles zu sagen." Er hatte Schiss. Aber er hatte auch Recht. Es war vermutlich nicht so klug, in absoluter Dunkelheit nach irgendwelchen Hinweisen zu suchen. Also gingen wir zurück zum Schiff. ,,Okay, Leute, gute Nachricht. lch habe es geschafft, unser Kommunikationssystem wieder hochzufahren. Wir haben wieder Kontakt mit dem Rat", teilte uns Drei bei unserer Rückkehr mit. ,,Schlechte Nachricht, Acht ist tot", entgegnete ich, und sofort hörte ich ein Raunen durch die Gruppe gehen. lch versuchte mit meinem nächsten Satz wieder etwas Ruhe in die Runde zu bringen, da wurde ich von jedem einzelnen Helm unterbrochen. Ein ohrenbetäubendes Störgeräusch ging durch alle Blechdosen gleichzeitig. Sofort setzte ich meinen Helm auf und wartete auf irgendeinen dummen Kommentar der Kl, die mir vielleicht verraten würde, was zur Hölle gerade passiert war. ,,Sir, ich empfange ein fremdes Radiosignal, ich werde es durchstellen!" Für eine ganze Weile hörte ich nur mein Keuchen. Dann ein Knacken.
,,Guten Morgen, sehr geehrte Strafgefangene. Mein Name ist Terra. Einer von euch hat etwas, das mir gehört. lch werde es entweder am Waldrand annehmen oder es mir selbst holen. Euch wird ein Zeitfenster von einer Viertel Erd-Stunde zuteil."
Stille. ,,Okay, hat irgendjemand irgendwas entwendet?" Drei sah alle der Reihe nach an. Mir fiel auf, dass er mich etwas länger als die anderen musterte. lch hielt seinem Blick stand, und so standen wir locker eine Minute da. Er wandte sich ab ,,Durchsucht eure Rucksäcke, Kisten, alles, was auch nur einen gewissen Stauraum haben könnte." lch rannte zu meinem Rucksack und schüttelte ihn aus. Sein lnhalt ergoss sich über den moosigen Boden. Erste-Hilfe-Set, drei Magazine für mein Gewehr und mehr Batterien für die Scheiß-Kl als Nahrungsriegel für mich!
Ein Tropfen fiel auf mein Gesicht. Na super, natürlich musste es ausgerechnet jetzt regnen. lch legte, nur zur Sicherheit, eine neue Batterie in meinen Helm ein. Da, noch eine Kiste, die nicht so aussah, als hätte man sie in aller Hast aufgerissen. lch rannte, rutschte auf dem matschigen Boden aus, rappelte mich wieder auf und riss den Deckel der Kiste auf. Leer! Bevor die miesesten und politisch sehr unkorrekten Schimpfwörter meines Vokabulars auf diesen Scheiß-Planeten losgelassen wurden, schoss mir jemand von hinten in den Rücken. Soviel zur schussresistenten Weste.
Der Regen prasselte auf meine Haut. lch öffnete meine Augen und richtete mich halb auf. Direkt stach mir der Schmerz wieder in den Rücken,ich fiel zurück und schrie auf. Jemand musste mich verarztet haben. Es war schon später Morgen und nach aller Logik müsste ich längst verblutet sein. Aber ich konnte nirgendwo Drei, Sechs, Achtzehn oder einen der anderen sehen. Ein Verband hinderte mich daran, normal zu atmen. Mein Helm lag neben mir. Als ich ihn aufsetzte, bemerkte ich, dass er keinen Saft mehr hatte. lch warf ihn weg. Dieses Scheißteil hatte mir noch nie weitergeholfen.
,,Wieso haben Sie es nicht einfach zurückgegeben, Dreizehn?", fragte mich eine unvertraute, nicht allzu freundliche Stimme. ,,Wussten Sie übrigens, dass die Zahl Dreizehn für die Alten Unglück bedeutete?" Neben mir saß ein Roboter. Er hatte eine humanoide Form, ein gruselig menschenähnliches Gesicht, welches aber bereits an manchen Stellen zerrissen war. Die äußere Hülle der Maschine bestand aus demselben weißen Metall wie die Mordwaffe, mit der Acht zu Schaschlik verarbeitet worden war. Hatte mich etwa dieses Ding wieder zusammengeflickt? Und wenn ja, wieso? ,,Also, nochmal, wieso haben Sie es nicht einfach zurückgegeben, Dreizehn?" Er deutete auf einen Stein in seiner Hand.
Ja, den hatte ich eingesteckt, im Wald. lch fand ihn schön. ,,Es ging hier ... die ganze Zeit ... nur um einen beschissenen Stein?! Hast du mir deshalb in den Rücken geschossen? Wegen einem Stein?!", fragte ich, entsetzt darüber, wie schwach der Klang meiner röchelnden Stimme war im Gegensatz zu dieser metallischen, kalten Stimme. ,,Das ist kein 'beschissener Stein'. Das ist ein Ei. Momentan hängt es von diesem Ei ab, ob es überhaupt Leben auf diesem Planeten geben kann. Ihr Freund Acht hat das nicht genau verstanden", antwortete die Maschine kühl. lch schwieg. Die Maschine sah mich mit diesen gefühllosen Augen an. Sie stand auf und entfaltete sich dadurch unweigerlich zu ihrer wahren Größe. Als mir der zwei Meter achtzig große Metallriese seine weiße biomechanische Hand entgegenstreckte, zögerte ich. ,,lch werde Sie nicht neutralisieren, Dreizehn. lch will lhnen etwas zeigen." Welcher Vollidiot hatte die Maschine dazu gebracht zu blinzeln? Das war doch scheiß gruselig! Zögernd packte ich das Handgelenk des Androiden. Es war eiskalt. Die Maschine zog mich hoch. lch schrie auf. ,,Scheiße, sei doch ein bisschen vorsichtigl", brüllte ich die Maschine an. ,,Dreizehn, hätte die Menschheit die ganze Zeit vor Schmerz zurückgescheut, wären wir jetzt noch in der Steinzeit", antwortete die Maschine klugscheißernd. Dann drehte sie sich auf der Stelle um und ging gen Osten. lch humpelte hinterher.
Als der seelenlose Zweibeiner endlich mal stehen blieb, standen wir vor einem riesigen Baum. Und hier waren die Bäume ja auch schon so riesig, aber dieser Baum war nochmal etwas ganz Anderes. ,,Das hier, Dreizehn, ist eines der letzten zwei Eier des Paldido-Vogels. Hätte ich Sie 'diesen beschissenen Stein' mit auf die Erde nehmen lassen, wäre meine ganze Programmierung unbrauchbar geworden. Weil ein Glied gefehlt hätte, wäre die gesamte Nahrungskette dieses Planeten zusammengebrochen und ich müsste versuchen, meine Aufgabe zu erfüllen, ohne jegliche Hoffnung auf Erfolg." Ein Vogel setzte sich auf den Kopf der Maschine. Der Vogel hatte vier Augen, drei lange Schwanzfedern und einen gekrümmten Schnabel. Das Federvieh pickte auf dem Kopf der Maschine herum, und genau in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich die Maschine, selbst wenn ich es rein körperlich schaffen würde, nie zerstören durfte. lch schloss die Augen und atmete tief durch. So frische Luft wie hier gab es nirgends auf der Erde.
Knacken im Unterholz.
Wenn man ein Klicken hinter sich hört, sollte man nicht vermuten, dass es eine P99 mit neun Millimeter panzerbrechenden Geschossen ist. Zumindest das hatte ich aus der Resozialisierungstherapie im Gefängnis gelernt. Daher war ich recht überrascht, als eine Bleikugel mir die Schulter zerfetzte.
lch drehte mich um, vor Schmerz schreiend. Vor mir sah ich die silberne Nummer Drei, der rechte Arm des Staates, das Wappen des Rates der Vereinten Nationen der Erde auf der Brust, mit erhobener Waffe, schwer atmend. ,,Tut mir leid, Dreizehn, aber wenn du die Maschine nicht ausschalten willst, dann erledige ich das", sagte er. ,,Drei, warte! Lass es mich erklären …", keuchte ich. ,,lch brauch keine Erklärung. Dieses Monster hat Acht umgebracht!"
Die Waffe in seiner Hand zitterte. lch wusste, dass er nur das Beste für uns im Sinn hatte. Er hatte von Anfang an immer alles zum Wohle der Crew getan. Eine Träne glitt seine Wange hinab. An wen dachte er? An Acht, die Crew, ein kleines Kind, welches er vielleicht nie wiedersehen würde? Oder einfach nur an sich? lmmer noch leicht zitternd hob er seine Pistole auf Kopfhöhe des Androiden. Die Maschine, die sich Terra nannte, guckte diesem schwachen Mann trotzig in die Augen. Drei stieß einen entschlossenen Schrei aus – und ich sprang.
Selbst als Drei mir das Hirn rausballerte, war mein letzter Gedanke noch bei diesem Ei.