Zehn Milliarden
Einmal pro Halbjahr besuche ich die Fabrik, dabei lade ich die gegebenenfalls anstehenden Updates der Roboter. Sie liegt ein bisschen außerhalb der Stadt. Es dauert etwa 20 Minuten mit dem autonomen Flugtaxi. Normalerweise arbeite ich von zu Hause aus, erledige die Aufgaben, die meine Roboter noch nicht erledigen können. Mit Hilfe der Produkte, die in meiner Firma hergestellt werden, hat selbst die ungebildetste Person im Universum einen übermenschlichen Intelligenzquotienten. Das Ganze funktioniert dank einer gesteuerten Künstlichen Intelligenz, die auf einen elektrischen Chip geladen wird. Dieser wird anschließend von Robotern in den Kopf des Menschen eingesetzt. Hoch präzise wird es mit dem menschlichen Gehirn verknüpft, sodass der Mensch auf die Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz ganz automatisch und zu jeder Zeit zugreifen kann. Als 2300 eine Pandemie ausgebrochen ist, habe ich meine Entwicklungen schließlich in Großproduktion gebracht und bin einer der Führenden auf dem Markt, was Intelligenzerweiterungen angeht. Wissenschaftler vermuten, die Seuche kam von den Bewohnern des Planeten Krypto, sicher sind sie sich allerdings auch nicht.
Jedenfalls sitze ich hier gerade wie jeden Abend am Esstisch zusammen mit meiner Frau. Seit einer halben Stunde steht unser privater Sternekoch, Roboter Ramsay, in der Küche und zaubert. Heute haben wir uns für etwas Asiatisches entschieden und es müsste demnächst auch fertig sein. Erschöpft vom Tag sitzen wir am Tisch, zu müde, um einen Wortwechsel zu starten. Diese Zeit des Wartens nutze ich meistens, um den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen oder über das Unternehmen nachzudenken. Manchmal überläuft mich dann ein leichter Schauder, wenn ich daran denke, dass ich den kompletten Zugriff auf die verbauten Chips in den Köpfen der Menschen habe. Ich habe die Möglichkeit, die verbaute Künstliche Intelligenz jederzeit zu steuern. 20 Milliarden Menschen zählen wir mittlerweile im Universum, davon zehn Milliarden, also die Hälfte, auf der Erde. Die Macht von zehn Milliarden Menschen liegt allein in meiner Hand. Mir kommt das immer noch surreal vor, und ich werde es in einer Woche, in einem Monat oder in einem Jahr, wahrscheinlich in zehn Jahren immer noch nicht begreifen. Der Wunsch oder das Verlangen anderer, so mächtig zu sein, ist riesig. Doch ehrlicherweise muss ich gestehen, dass die Triumphgefühle beim Erreichen dieses hohen Status letzten Endes in der Realität kaum spürbar sind. Es ist ein Tag wie jeder zuvor. Es löst regelrecht eine Enttäuschung im Inneren aus. Garantiert ist dieses Gefühl allerdings nicht, also vermutlich gibt es auch andere Erfahrungen. Ein Schauder läuft mir auch bei der Vorstellung über den Rücken, dass es Leute geben wird, die es als Segen und nicht als Enttäuschung empfinden. Eben diese Leute werden leicht unberechenbar und strahlen eine große Gefahr aus. Immer wieder aufs Neue verwerfe ich den Gedanken, denn die Angst in mir nimmt überhand und stoppt sogleich den Vorgang, weiter darüber nachzudenken.
Plötzlich werde ich aus den Gedanken gerissen, eine Durchsage: „Ping! Das Essen ist fertig“, kommt es aus dem Lautsprecher unseres Ramsay. Die Roboterstimme ist noch nicht verklungen, als er uns die Teller mit dem noch dampfenden Essen serviert. Es gibt Entencurry mit Reis.