Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2025

Phillip Haas

Die verrückte Weltraumreise

Nichts hat mich auf dieses Gefühl vorbereitet. Das Gefühl wie von einer unsichtbaren Kraft in den Sitz gedrückt zu werden, während ohrenbetäubender Lärm mein Trommelfell durchdringt. Natürlich gab es schon einige Übungen, die mich wahrscheinlich darauf hätten vorbereiten sollen, aber wie gesagt, nichts und niemand hätte mich auf einen Raketenstart vorbereiten können. Dann wird mir alles schwarz vor Augen.

Ich werde von einer Stimme, die aus meinem Funkgerät dringt, geweckt. “Basisch an Raumfiff Knackermatsch, Biber kommen, Biber kommen.“ Mein Kopf pocht wie wild. „Oh, verdammt, das Raumschiff wird von Bibern angegriffen!“ Ich löse meinen Gurt und versuche aus dem Sitz zu springen, schwebe aber eher. Wow, die Schwerelosigkeit ist hier sogar noch besser als in der Simulation. Aber nein, jetzt habe ich keine Zeit, denn gleich wird ein ganzes Knabber-Kommando voller mordlüsterner Biber das Raumschiff stürmen. “Was mache ich denn jetzt?“ In diesem Moment kommt ein zweiter Funkspruch rein: „Basis an Raumschiff Knattermax, bitte kommen, bitte kommen.“ Ich atme erleichtert aus. Doch kein Biberangriff. Mein Verstand war wohl noch zu benebelt gewesen. Ich lasse mich wieder in den Sitz fallen und gebe einige Befehle in einen großen Touchscreen ein. Jetzt sollte die Antennenausrichtung stimmen. Ich schnappe mir das Funkgerät und sage: “Raumschiff an Basis, Astronaut1 ...“ (mein Codename, sehr kreativ, ich weiß) „... wohlauf, möchte sich aber über das Fehlen einer Einweisung für den Fall eines Biberangriffs während der Ausbildung beschweren.“ Ich schicke die Aufnahme ab. „Basis an Raumschiff, gut dass Sie da sind. Wir hatten schon das Schlimmste befürchtet.“

In der Ausbildung hat man mir eingetrichtert, immer mehr zu essen, als ich Appetit habe. Weil man im Weltall weniger Hunger hat. Sonst bekommt man Kaloriendefischwund, oder so ähnlich. Ich habe im Theorieunterricht nicht so wirklich aufgepasst. Im Test wäre ich fast durchgerasselt. Ich greife nach einer Stange und ziehe mich an den Speiseschrank heran. Ich öffne die Tür und reiße unter Anwendung all meiner Kräfte einen Beutel mit einer bräunlichen Masse, die mit „Chili“ beschriftet ist, heraus. Zusätzlich nehme ich eine Pipette, mache den Beutel auf und spritze Wasser hinein. Jetzt noch einen Strohhalm hineinstecken und fertig ist meine Speise, die aussieht wie irgendein Maggi-Fertiggericht. Ich hangele mich wieder zurück zu meinem Sitz, was gar nicht so einfach ist, da ich nur eine Hand zum Greifen habe, weil ich mit der anderen krampfhaft versuche, die Tüte festzuhalten, damit sich nicht die Hälfte des Inhalts im Raum verteilt. Ich stecke mir den Strohhalm vorsichtig in den Mund. Schmeckt nicht mal so schlecht. Nachdem ich die Verpackung fachgerecht im Müll entsorgt habe, funke ich wieder die Bodenstation an: „Hier Raumschiff Knattermax an Basis. Erstes Mahl erfolgreich zu mir genommen. Erbitte weitere Anweisungen.“

Kurze Zeit später bekomme ich eine Antwort. “Hier Basis an Raumschiff Knattermax. Treiben Sie Sport, essen Sie etwas, beobachten Sie die Sterne, vertreiben Sie sich irgendwie die Zeit. Das meiste verläuft autonom. Es sind noch etwa 27 Stunden bis zu Ihrer Ankunft. Dann können Sie Ihre Fotos machen und sind im Nu wieder zu Hause. Over.“

Na super. Jetzt hatte ich mich so darauf gefreut, hier lauter hochtechnischen, wichtigen Kram zu erledigen, muss aber stattdessen nur irgendwelche alltägliche Dinge machen, die ich auch auf der Erde machen könnte. Außer Sternegucken. Und das mach ich jetzt, so. Ich strecke der Funkanlage die Zunge raus. Zum Glück ist ganz in der Nähe ein Fenster. Ich schwebe heran und presse meine Nase gegen das angenehm kühle Sicherheitsglas. Die Aussicht ist wirklich fantastisch. Ich sehe die Erde (in Amerika ist wohl gerade Nacht), den Todesstern (ach ne, ist doch nur der Mond), den Mars (oder ist es doch nur ein Komet, der auf mich zuschießt?!) und über all dem thront die Sonne. Sie erinnert entfernt an einen Käsekuchen, der gerade erst aus dem Ofen genommen wurde. Allein dafür hat es sich gelohnt, Astronaut zu werden. Schade, dass ich nur circa 55 Stunden im All verbringen werde, um Fotos vom Mond zu schießen, mit einer Kamera, die angeblich alles Bisherige in den Schatten stellt. Kann ich aber nicht beurteilen, da sie mir das „unbezahlbare“ Prachtstück ja noch nicht in die Hand gegeben haben, weil ich ja „nur“ den beinharten Eignungstest für Astronauten abschließen konnte und mich auch während des Auswahlverfahrens „nur“ gegen 21.000 andere Bewerber durchgesetzt habe und jetzt nach der Ausbildung „nur“ diverse Erfahrung mit hochkomplexen technischen Geräten gesammelt habe. Dies qualifiziert mich aber natürlich nicht dafür, dieses „Wunderwerk“ auch nur anzusehen. Stattdessen kriege ich ein verschnürtes Paket und die Anweisung, es erst zu öffnen, wenn ich damit Fotos machen muss. Macht doch gar keinen Sinn, ich muss doch wissen, wie man das Ding bedient! Natürlich haben sie mir eine Bedienungsanleitung in die Hand gedrückt, die ungefähr so dick war wie das sprichwörtliche Telefonbuch von Hongkong, aber weil Anleitungslesen bekanntlich etwas für Loser ist, habe ich das Ding kurzerhand fachgerecht geschreddert und im Papiermüll entsorgt. Jetzt werde ich noch etwas Sport treiben und dann hoffentlich bis zur Ankunft durchschlafen. Ich schwebe in den Fitnessraum und versuche dabei etwas unbeholfen ein paar Saltos zu schlagen, bis ein dumpfes Klopfen ertönt und mir ein pochender Schmerz durch den Kopf jagt. Verdammte Axt! Na egal, musste sowie irgendwann passieren, ich war wohl einfach zu unvorsichtig. Ich greife mir ein paar Gewichte und schnalle sie an die dafür vorgesehene Vorrichtung in meinem Raumanzug, damit ich nicht beim Trainieren einfach davonschwebe. Als ich unter großen Anstrengungen eine Hantel hebe, die mit 100kg beschriftet ist, komme ich mir etwas vor wie Eddie Hall (gut, der hat circa 500kg gehoben, aber dafür hat er auch jahrelang unermüdlich trainiert). Jetzt noch ein bisschen laufen und dann endlich schlafen. Als ich mich ins Bett lege, bin ich kaputt. Immerhin 36 Minuten habe ich auf dem Laufband durchgehalten. Jetzt kann ich hoffentlich gut einschlafen, denke ich, dann entgleitet mir die Welt. Ich werde von einem schrillen Alarmton geweckt. „Oh, verdammt!“ Ich schlage dem mit Klebeband festgemachten, überraschend altmodischen Wecker auf die Klingel. Keine Wirkung. Ich drücke, diesmal mit mehr Treffsicherheit, auf den Ausknopf. Das Schrillen hört schlagartig auf. Eine gefühlslose kalte Frauenstimme, die vermutlich mit KI gemacht wurde, klingt durch den Raum. „Achtung, in circa 10 Minuten ist die Zeit der Ankunft. Bitte bauen Sie die Kamera auf. Ich wiederhole: Achtung, in circa 10 Minuten ist die Zeit der Ankunft. Bitte bauen Sie die Kamera auf. Ich wiederhole: Achtung, in circa 10 Minuten ist die Zeit der Ankunft. Bitte bauen Sie die Kamera auf. Ich wiederhole: Achtung, in circa 10 Minu“ Endlich habe ich die richtige Taste auf dem Bedienfeld neben meinem Bett gefunden. Ich stehe auf und reibe mir die Augen. Jetzt kann ich endlich diese Hightech-Kamera sehen. Ich bin einigermaßen enttäuscht, nachdem ich das Paket aufgemacht habe. Es kam mir sowieso von Anfang an so klein vor. Jetzt habe ich in der Hand eine Kamera, die die Größe einer Melone hat. Das soll alles sein? „Sie haben Ihr Ziel erreicht. Bitte begeben Sie sich sofort zum Ihnen in der Ausbildung zugewiesenen Fenster und machen Sie Ihre Fotos. Ich wiederhole: Sie haben Ihr Ziel erreicht. Bitte begeben Sie sich sofort zum Ihnen in der Ausbildung zugewiesenen Fenster und machen Sie Ihre Fotos.“ Diesmal muss ich nichts drücken, die Stimme verstummt ganz von alleine. Zum Glück habe ich das Paket direkt vor besagtem Fenster ausgepackt. Ich stehe auf, mit der Kamera im Anschlag. Wo ist hier überhaupt der Anschaltknopf? Es wäre doch auch zu einfach, dieses typische Anschaltzeichen, das man eigentlich auf jeder Kamera findet, auf diesen blöden Knopf zu kleistern. Wahrscheinlich der große schwarze rechts oben. Jap, der wars. Das weiße Logo erscheint auf dem bisher schwarzen Bildschirm. Die Kamera ist an und ich habe perfekten Blick auf den Mond.

Ideale Voraussetzungen. Ich sollte einfach auf den maximalen Zoom gehen und möglichst viele Fotos schießen, solange der Mond günstig steht. Na, dann mal los. Wenigstens auf dem Knopf zum Heranzoomen ist ein Plus abgebildet. Jetzt verstehe ich, warum die Kamera als Hightech bezeichnet wird. Ich sehe die Mondoberfläche hochgeauflöst vor mir. Dann drücke ich den Auslöser (oder ich hoffe zumindest, dass er das ist).

67. So viele Fotos habe ich gemacht, bis mir die nervige KI-Stimme mitgeteilt hat, dass ich aufhören könnte. Jetzt wird es wohl Zeit, meine Reise im Weltraum zu beenden. Man gab mir eine Schlaftablette, die ich in die kleine Schultertasche, meines Raumanzuges stecken sollte. Jetzt muss ich sie wohl nehmen. Schade eigentlich. Aber es war sowieso ein kleines Wunder, dass überhaupt ein Mensch für dieses vollautomatische Raketenunterfangen gebraucht wurde. Mit dieser bläulichen Tablette, die ich gerade in meiner Hand halte, werde ich also bis zur Landung durchschlafen. „Auch wenn es etwas kurz war, war es dennoch ein tolles Abenteuer“, denke ich. Dann lege ich mich hin, schlucke die Pille trocken und schlafe fast sofort ein.

Ende