Perfekte Welt
Sally lebte mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern (Sara, Seamus und Samuel) in einem gelben Haus mit blauen Fensterläden in Cornwall. Sie waren erst vor kurzem hier her gezogen und Sally hatte an ihrer neuen Schule noch keine neuen Freunde gefunden. Sally vermisste ihre besten Freunde Millie und George. Viele Abenteuer hatten sie gemeinsam in der Innenstadt von London erlebt, doch nun wohnten sie fünf Stunden Autofahrt voneinander entfernt. Sally hatte in der neuen Schule viel Stress, da sie mitten im Schuljahr umgezogen war und deshalb viel Unterrichtsstoff nachholen musste.
Sally kam am Freitag von der Schule nach Hause. Es war ein sehr stressiger Tag gewesen. Morgens hätte sie beinahe den Bus verpasst und ihre Jacke im Bus vergessen. Dann hatte sie erst eine Doppelstunde Mathe, gefolgt von Geschichte, Englisch, Erdkunde, einer Doppelstunde Musik und auch noch Sport gehabt. Nach dem Unterricht wollte sie ihre Fahrkarte im Bus abstempeln, doch leider hatte sie ihren Geldbeutel mit der Karte in der Umkleide vergessen. Genervt und vor allem erschöpft stieß sie daheim die Tür auf und wurde von ihren jüngeren Geschwistern Sara und Samuel heftig umarmt. „Bin da!“, rief sie und schmiss ihren Ranzen in die Ecke, während Sara und Samuel an ihren Beinen hingen. In der Küche duftete es herrlich nach Hackfleischauflauf mit viel Käse. Ihre Familie aß immer zwischen Nachmittag und Abend, weil dies einfach die perfekte Zeit für alle war. Beim Abendessen erzählten ihre Eltern von der Arbeit und ihr großer Bruder Seamus von seinem Praktikum im Tierpark ein paar Orte weiter. Sally war so müde, dass sie nur mit halbem Ohr zuhörte. Sie erledigte ihre Hausaufgaben und las Sara und Samuel noch eine Gute-Nacht-Geschichte vor. „Gute Nacht ihr zwei!“, sagte sie und gab beiden einen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht, Sally!“, murmelten ihre Geschwister, die kurz darauf eingeschlafen waren. Auch Sally kuschelte sich in ihr großes, weiches Bett und las. Doch ihr klappten langsam die Augen zu und sie schlief ein.
Sally öffnete die Augen. Wo war sie? Sie befand sich in einem hellen Raum, der mit Pflanzen und gemütlichen Möbeln ausgestattet war. Sie selbst saß auf einem orangenen Sofa mit kuscheligen Kissen. Sie blickte aus dem Fenster, das sich hinter dem Sofa befand, und sah Felder, ein kleines Wäldchen und einen See. Eine Brücke führte über die Landschaft, doch sie war nicht wie üblich mit Stützen befestigt, sondern hing an Seilen an zwei großen Pfählen. Sie hing aber nicht durch und sah sehr stabil aus.
„Hi“, sagte eine freundliche Stimme hinter ihr. Sally drehte sich um und erblickte einen großen, schlaksigen Jungen mit braunen, kurzen Haaren, braunen Augen und Sommersprossen. „Ich bin Jack.“ „Ich bin Sally, aber wo bin ich hier?“, antwortete Sally. „Du befindest dich auf dem Planeten Utopia, in der Stadt Lycka. Soll ich dich herumführen? Du kennst dich hier nicht aus, oder?“, fragte Jack. „Danke, sehr gerne. Ich komme vom Planeten Erde.“ „Erde? Noch nie gehört. Los jetzt – ich erkläre dir alles unterwegs!“ Sie verließen das Haus, das unbeschreiblich schön war, sodass man es nicht einmal beschreiben konnte. Alles sah so friedlich aus, überall wuchsen Pflanzen, es war nichts schmutzig und die Menschen grüßten einander. Ungeduldig fragte Sally: „Kannst du mir jetzt etwas über diesen Planeten erzählen, oder nicht?“ „Doch, doch“, versicherte Jack ihr. „Ich fange ja schon an. Also, wie ich bereits sagte, befindest du dich auf dem Planeten Utopia, in der Stadt Lycka. Wir leben hier zusammen mit der Natur und es gibt niemals Streit, da wir alle zusammen gemeinsam unsere Gesetze bestimmen.“ „Wow!“, staunte Sally. „Und was sind diese Gesetze?“ „Wir alle dürfen unsere Meinung sagen, alle werden gleich behandelt, man macht keinen Unterschied, egal woher jemand kommt, welche Sprache er spricht, an wen er glaubt, was er für eine Hautfarbe oder was für ein Geschlecht er hat. Hier gibt es keine Gefängnisse. Wir alle regeln unsere Probleme untereinander selbst, wenn es überhaupt einmal welche geben sollte. Wir schaden unserer Umwelt, das heißt der Natur, den Tieren und anderen Menschen nicht. Jeder wird respektiert, so wie er ist. Jeder darf sein wie er ist. Es gibt keine Kriege. Jeder versteht sich mit jedem, niemand muss Mangel leiden und jeder hilft, wo man helfen kann." „Das ist so wunderbar, ich wünschte, dass das bei uns auch so wäre“, bewunderte Sally das, was Jack ihr erzählte. Jack berichtete noch weiter: „Was wir der Natur nehmen, geben wir ihr zurück, wir recyceln und upcyceln unsere alten Sachen, also Klamotten, Möbel und all das andere Zeug. Bei uns gibt es nur Stoffbeutel als Verpackungen, und alles, was wir an Obst und Gemüse kaufen, ist regional und saisonal. Oft bauen wir auch selbst Gemüse und Obst an, es gibt aber auch Gemeinschaftsgärten. Außerdem gibt es nur Elektroautos, Busse und gar keine Flugzeuge. Da wir alle auf die anderen Rücksicht nehmen, gibt es kaum Unfälle, Staus, Krisen, Notsituationen oder Streit.“ „Einfach eine perfekte Welt“, vollendete Sally Jacks Satz. „Hoffentlich wird das auf meinem Planeten auch mal so.“ „Bestimmt“, sagte Jack freundlich. „Wie schützt ihr eigentlich eure Umwelt?“, fragte Sally, während sie an einem Fahrradverleih vorbei kamen. „Wie du siehst, gibt es überall Fahrräder zu leihen. Ein paar andere Punkte habe ich ja vorhin schon genannt, und dann pflanzen wir noch jeden zweiten Dienstag im Monat mindestens 10.000 neue Bäume. „Krass – 10.000 Bäume!“ Sally war wirklich überrascht. „Außerdem wird in den Familien viel von Hand gemacht und nicht in großen Fabriken“, fügte Jack hinzu. „Ach schau, hier wurden vor kurzem drei neue Bäume gepflanzt: ein Ahorn und zwei Kastanien.“
Sally dachte nach. Hier war alles so schön und alle kümmerten sich darum, dass es allen und allem gut ging. Es war alles in bestem Zustand. „Hier würde ich gerne leben“, sagte Sally voller Euphorie. „Doch ich will zurück nach Hause. Zu meiner Familie.“ „Ich kann dich sehr gut verstehen“, erwiderte Jack mit Mitgefühl. „Auf Wiedersehen, es war sehr schön mit dir.“ So verschwand er hinter der nächsten Straßenecke, Sally konnte ihn nicht mehr sehen. Doch wie sollte sie jetzt nach Hause kommen?
Genau in diesem Moment wachte Sally auf. Sie hatte alles nur geträumt, aber sie hatte von ihren größten und sehnlichsten Wünschen geträumt. Sally seufzte. Würde die Erde auch einmal so perfekt sein?