Mission Saturn : Ein Gespräch
Kapitel 1 - An einem Samstagabend
Ich hatte es auf meinem Weltatlas gesehen. Auch in Enzyklopädien und im Fernsehen. Aber jetzt war es direkt vor meinen Augen. Durch das Glasdach unseres selbstgebauten Raumschiffs blickte ich hinunter. Da war die Erde. Eine leuchtende, grün-blaue Kugel im schwarzen Ozean des Weltraums. Vor mir war das ganze Universum, das Unbekannte. Ich und meine Katze Lyra waren auf einer Weltraumreise. Und jetzt fragst du dich bestimmt: ,,Warum reist ein zehnjähriges Mädchen mit einer Katze ins Weltall?”
Alles begann an einem ganz normalen Samstagabend. Lyra und ich lagen auf meinem Bett und lasen Calvin and Hobbes. Da vibrierte Mamas Handy im Wohnzimmer. Ich hörte, wie sie mit Papa flüsterte. „Arme Vaniya … schon fünf Mal abgelehnt. Ihr Horoskop ist einfach zu schwierig.”
Meine Ohren spitzen sich wie Antennen. Meine Cousine in Indien, Vaniya? Abgelehnt? Horoskop? Das klang nach einem Geheimnis, das ich unbedingt ergründen musste. Ich stürmte ins Wohnzimmer: „Mama, was redest du da?”
Mama wollte nicht antworten und mich einfach wegschicken, aber ich ließ sie nicht in Ruhe. Endlich erklärte sie: ,,Vaniyas Eltern wollen, dass sie heiratet und suchen für sie nach einen passenden Ehemann."
Mir klappte der Mund auf. „WAS?! Vaniya und heiraten?! Aber sie hat doch gerade erst ihr Studium abgeschlossen.”
„Genau. Mit 22, da sie ihr Studium nun abgeschlossen hat,, möchten ihre Eltern (Tante und Onkel), dass sie heiratet. In unserer Kultur suchen die Eltern nach einem guten Mann für die Tochter. Das ist ganz normal”, erklärte Mama.
Ich schüttelte den Kopf. Für mich war das Heiraten undenkbar. Ich hatte schon längst beschlossen: Ich heirate nie. Aber das ist momentan etwas, das ich nur Lyra mitgeteilt habe. Trotzdem stören mich einige Fragen: Warum entscheiden Tante und Onkel über Vaniyas Leben? Und wer lehnt meine schöne und kluge Cousine einfach ab? Worüber ärgert er sich? Sie ist doch sehr intelligent und das tollste Mädchen. Und was ist eigentlich ein Horoskop!?
Mama beantwortete weiter einige meiner Fragen. Meine Cousine Vaniya soll heiraten, aber ein Astrologe hat gesagt, dass in ihrem Horoskop der Planet Saturn in falscher Position steht. Das kann alles im Leben kaputt machen. Deshalb hätten viele Familien von Jungen nein gesagt.
Später schnappte ich mir Papas Laptop und googelte Horoskop und Astrologie.
Die Ergebnisse haben mich noch neugieriger gemacht. So war die Erklärung:
Astrologie ist die Lehre, die glaubt, dass Sterne und Planeten die Menschen und Ereignisse auf der Erde beeinflussen und so ihre Persönlichkeit und ihr Schicksal bestimmen können.
Also … Viele Menschen auf der Welt von Mexiko bis China glauben, dass Sterne und Planeten entscheiden können, ob jemand Glück hat oder Pech. Und sogar heute gibt es in fast jeder Zeitschrift eine Seite mit Sternzeichen, mit Prognosen, z.B. wie dein Tag, das Jahr, das Leben in Zukunft wird.
Aber was für ein Wissen ist eigentlich Astrologie? Für mich klingt ein Horoskop eher wie ein Zeugnis. Kann ein Planet wirklich unser Leben kontrollieren? Ist Saturn wirklich so böse, dass er meiner Cousine schon bei ihrer Geburt eine schlechte Note gegeben hat? Das ist doch total unfair!
Ich starrte durch das Fenster hinaus. Draußen glitzerten die Planeten und Sterne wie winzige Diamanten in der schwarzen Nacht. Irgendwo liegt Saturn und spielt Schach mit unserem Leben.
„Jetzt reicht’s”, kündigte ich an. „Wenn Saturn so viel Macht über Vaniyas Leben hat, dann frag ich ihn eben selber.”
Mama und Papa lachten, als wäre das ein Witz. Sie wussten eben nicht, was ich vorhatte.
Kapitel 2: Mein Plan
In mein Tagebuch kritzelte ich meinen Plan:
1. Ein Raumschiff besorgen.
2. Zum Saturn fliegen.
3. An Saturn meine Frage stellen
4. Hoffentlich rechtzeitig zurück sein, bevor Sonntag morgen.
Ich klappte das Buch zu. Einfacher ging’s nicht. Also tippte ich im Internet www.nasa.com. Und auf der Webseite blinkte ein Plakat: „Bau dir dein eigenes NASA-DIY-Raumschiff – jetzt bestellen! Lieferung in 30 Minuten”
Ich drückte sofort auf "jetzt bestellen". Und keine halbe Stunde später stand ein riesiges Paket vor unserer Haustür.
RAUMSCHIFF CHRYSALIS
TARA
35 Milchstraße Ludwigshafen 67151
Wie aufregend! Mein Raumschiff hat seinen eigenen Namen und das Paket enthält ALLES: Hammer, Schrauben, Platten, elektrische Kabel, eine Anleitung zum Bauen, und sogar Aufkleber. Zwischen den Teilen fand ich auch das NASA Weltraum Handbuch. Ich nahm es in die Hand und dachte: „Hmm, das werde ich auf meiner Reise unbedingt brauchen!”
Ich baute das Raumschiff zusammen. Lyra sprang mitten hinein und spielte mit der Verpackung. „Perfekt, Lyra, du bist ab sofort meine Assistant Ingenieurin.”
Dann zog ich mein Astronautinnen-Outfit an. Regenjacke als Raumanzug, Fahrradhelm als Helm, Klebeband gegen alles, was wackelt. Ich setzte mich auf den Fahrersitz. „Bereit?”
Lyra gähnte nur. Ich drückte den roten Knopf. Schwupp. Der Garten wurde kleiner, Häuser sahen wie kleine Legosteine aus, Bäume waren nur grün, Meere nur blau, die Wolken flogen an uns vorbei, und dann … waren wir im Himmel.
Kapitel 3: Das Abenteuer beginnt
Wir waren jetzt 100 km über der Erde, wo der Weltraum beginnt. Ich schaute hinunter. Die Erde leuchtete blau und grün. Wolken schwebten wie weiße Zuckerwatte darüber. Vor uns lag das riesige Weltall, wundervoll, geheimnisvoll und endlos. Was würde ich hier draußen finden? Hoffentlich Antworten auf unsere Probleme! Wie sollte ich meinen Weg finden? Zum Glück waren die Richtungen im Handbuch. Rechts: Sonne, Merkur, Venus, und links: Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. “Ah..., also fahren wir nach links.”
Unser selbstgebautes Raumschiff schwebte Richtung Saturn. Nur etwa 1.2781 Milliarden km entfernt! Mein Raumschiff flog mit 27.000 Kilometern pro Stunde – aber das ist im Weltall ganz normal. Ich meine, mit dem Fahrrad auf der Erde fahre ich ja auch schon schneller, dachte ich und grinste.
Mit voller Kraft und Geschwindigkeit fuhren wir los ins äußere Sonnensystem. Bald tauchte der Mars vor uns auf. „Da ist er also, der Rote Planet,” sagte ich und zeigte ihn Lyra. Das Handbuch stellt den Mars mit interessanten Tatsachen vor. Ich las ein wenig daraus vor: „Auf dem Mars sind schon Roboter unterwegs, um den Planeten zu erforschen. Wahrscheinlich gab es dort sogar einmal Leben, bevor alles plötzlich verschwunden war.” Lyra und ich sahen einander erschrocken an, mit den gleichen Gedanken. Waren das damals Menschen, so wie wir? Oder komische Aliens ? Was war mit ihnen passiert? Gänsehaut!!! Hoffentlich hat Saturn nichts damit zu tun.
Plötzlich flog etwas ganz nah an unserem Raumschiff vorbei. Es machte schwupp, schwupp und brummte laut. Überall um uns herum schwebten Steine, groß wie Häuser oder kleine wie Gartensteine. Asteroiden! Ich war sehr nervös. Was, wenn einer unser Raumschiff trifft? Ich musste ständig ausweichen. Links. Rechts. Hoch. Runter. “Warum gibt es so viele?”, dachte ich. Die Antwort stand im Handbuch. Wir waren im Asteroidengürtel. Eine große Ansammlung von Asteroiden. Diese Asteroiden sind tatsächlich Fragmente aus einem Planeten, der nicht gebildet werden konnte. Noch einmal waren Lyra und ich erstaunt. ,,Fliegen wir durch einen FRIEDHOF, Lyra? Hoffentlich gibt es hier keine Planetengeister!”, rief ich. Sie stimmte mir zu mit einem Schnurren.
Ich hatte meinen Satz kaum beendet, standen wir direkt vor dem gigantischen Planeten Jupiter.
OMG, was für ein Riese! Neben ihm war ich winzig wie ein Atom. Seine Wolken bewegten sich in allen möglichen Farben – weiß, gelb, beige, braun, rot und orange. Es sah wie eine riesige Schokolade-Kürbis-Latte aus, mit einer roten Kirsche darin, wie wir sie bei Starbucks kaufen. Aber das waren keine Süßigkeiten, sondern Gaswolken aus Ammoniak, Wasserstoff, Helium und noch mehr komischem chemischem Zeug. Und die rote Kirsche? Das war der Große Rote Fleck, ein Sturm, größer als die ganze Erde! ,,Krass”, dachte ich, ,,so schöne Farben, aber ich glaube, da draußen wird es wirklich stinken. Hingehen würde ich da lieber nicht.”
Kapitel 4: Das Juwel des Sonnensystems
Es war fast Mitternacht und ich war noch immer 600 Millionen Kilometer von Saturn entfernt. Ich musste schneller reisen, also gab ich Gas. Und da war er, Saturn. Man nennt ihn das „Juwel des Sonnensystems”. Vielleicht, weil er etwas mit Hochzeiten und Ehen zu tun hat! Passt irgendwie gut zu ihm. Um ihn herum schweben Monde, groß und klein. Titan ist der größte, ein orangefarbener Ball. Aber das Schönste sind natürlich die Ringe. Sie glänzen wie Diamanten. Obwohl ich eigentlich wütend auf Saturn war, blieb ich staunend stehen. Ein riesiger cremefarbener Ball, umgeben von sieben glitzernden Ringen.
Ich sagte zu Lyra: „Siehst du das, Lyra? Saturn ist mit sich selbst verheiratet und zeigt uns seine Ringe …, wirklich er ist der Lord of the Rings!” Wir haben über meinen Witz gelacht. Nun beschreibt das Handbuch Fakten darüber: „Die sieben Ringe um Saturn enthalten Eis, Staub und Felsen. Wissenschaftler vermuten, dass die Ringe einmal ein Mond waren, der zu nah an Saturn gekommen ist und durch die Schwerkraft des Planeten total zerrissen wurde. Dieser Mond wird von Wissenschaftlern Chrysalis genannt. ,,Chrysalis? Mein Raumschiff heißt auch so ...”, bemerkte ich.
Ich muss aufpassen, darf nicht zu nah herangehen.
Das Handbuch beschreibt weiter ein blaues Sechseck am Nordpol, ein Sturm, der niemals aufhört. Und tatsächlich glitzerte eine türkisblaues Hexagon auf Saturns Kopf wie eine Krone. Saturn war absolut geschmückt und elegant.
Doch jetzt kam das Problem. Wie sollte ich mit einem geschmückten Planeten reden? Ich guckte im Handbuch nach einem Hinweis. Wie in Alice im Wunderland stand da nur eine geheimnisvolle Nachricht:
„Hier bist du, an deinem Ziel. Stelle Saturn deine Fragen.”
Einverstanden, und gleich stellte ich an Saturn die wichtigste Frage:
„Hallo, Saturn, ich bin Tara und komme von der Erde, wo die Leute sagen, dass du über das Leben von Menschen entscheidest. Dass du Unglück bringst. Stimmt das?”
Dann hörte ich eine tiefe Stimme. Ich griff sofort nach dem Sprachrekorder. „Für den Fall, dass irgendjemand auf der Erde denkt, ich spinne ...”, dachte ich.
Und so donnerte er:
„Ich
bin Saturn, der
sechste Planet im
Sonnensystem. Hier rotiere ich und
kreise um die Sonne, und um mich kreisen
meine 274 Monde. Ich bestehe aus Gasen, Staub und anderen Stoffen.
So ist das seit Billionen Jahren, und so wird es vielleicht noch Milliarden Jahre weitergehen.
Ich zerstöre keine Hochzeiten.
Ich schreibe keine Schicksale.
Ich bewege mich auf meinem
eigenen Weg. Das ist
alles, was ich
bin.
„Moment mal! Was soll das heißen?”, rief ich. „Du hast also nichts zu tun mit Hochzeiten oder dem Unglück der Menschen? Warum sagen sie dann, dass du es tust?”
Aber ich bekam keine Antwort. Nur Stille. Kein Echo, keine Stimme. Nur der riesige Gasball, der sich weiter drehte. Und doch … in meinem Kopf wirbelten die Worte von Saturn, meiner Familie, Fakten aus dem Handbuch durcheinander wie der sechseckige Sturm.
Vielleicht schauen die Menschen zum Himmel, weil sie Antworten suchen, wie ich. Dann fühlen sie sich wohl und nicht mehr so unsicher. Und wenn etwas schiefgeht, sagen sie einfach: „Die Planeten sind schuld. Mein Schicksal ist schlecht.“ Nicht jeder kann ein Raumschiff selber bauen, zu den Planeten reisen, Fragen stellen und Klärung finden.
Ich sah noch einmal in den funkelnden Weltraum hinauf. Zu viele Sterne, Planeten, Galaxien … zu viele Möglichkeiten.
Aber jetzt war Zeit zurückzukehren.
„Komm, Lyra, zurück zur Erde”, sagte ich. Lyra nickte.
Kapitel 5 : Die Rückreise und danach
Unser Raumschiff drehte um und wir schwebten zurück zur Erde.
Auf dem Rückweg war ich völlig in Gedanken versunken. Hungrig. Müde. Fast wäre ich eingeschlafen, wenn Lyra mich nicht wach gehalten hätte.
Kurz nach dem Mars waren wir endgültig auf dem Rückweg zur Erde. Plötzlich sah ich ein großes Stück Stein. Es war von einem Asteroiden abgebrochen. Jetzt raste es direkt auf uns zu!
„Oh nein … Ein Meteorit!!! Nicht schon wieder!", rief ich und drückte das Gaspedal durch. Ich habe schon große Monster in meinen Videospielen überlebt …, dieses Ding würde mich nicht besiegen.
Mein Herz schlug schnell, als ich das Raumschiff zur Erde lenkte. Meine Heimat war schon fast greifbar.
Kurz bevor wir die Erde erreichten, brach der Meteorit in tausend winzige Stücke und verwandelte sich in einen funkelnden Regen aus Licht und Glitzer.
„Wow …, Sternschnuppen!", rief ich, „wie zaubernd. Vielleicht haben sich Menschen etwas gewünscht.” Lyra schnurrte zustimmend oder vielleicht war sie einfach erleichtert, dass wir noch lebten. Ich grinste, während wir in die Erdatmosphäre eintauchten und nach unserem Land, unserer Stadt, unserer Straße rasten. Endlich zuhause. Mission accomplished.
Ich muss ehrlich sagen, dass sich nach meiner Weltraumreise überhaupt nichts geändert hat. Erstmal glaubten mir meine Eltern nicht, als ich ihnen alles über das Gespräch mit Saturn erzählte. Und der Sprachrekorder hat nur so ein Geräusch gemacht wie ein altes Radio. Beweisen konnte ich also gar nichts. Total blöd.
Und Unglück folgt mir überallhin. Ich hatte Pech ohne Ende. Mit meinem Skateboard bin ich gegen einen Stein gestoßen und musste mit drei Stichen am Knie genäht werden.
In Mathe gab’s eine Vier.
Und am Freundschaftstag habe ich mich auch noch mit meiner besten Freundin gestritten.
„Vielleicht habe ich Saturn wirklich geärgert”, dachte ich, als eines Tages Mama eine Nachricht von Tante auf Whatsapp erhielt. Mama las vor:
Vaniya hat ein Praktikum bei der NASA bekommen. NASA in WASHINGTON DC!!! Wir sind überglücklich. Und sie hat sich entschieden, nicht gleich zu heiraten.
Mama jubelte: „Was für eine großartige Nachricht!”
Mein Kopf fühlte sich an, als hätte ihn ein Meteor getroffen. Vor ein paar Wochen waren wir alle traurig, weil Vaniya für die Ehe mehrmals abgelehnt wurde. Und jetzt? NASA … Washington … Praktikum statt Hochzeit! Und wer weiß, was als nächstes kommt, vielleicht wird aus Vaniya eine Astronautin, die in den Weltraum reist.
Da schwirren mir tausend Fragen im Kopf herum. War es mein Gespräch mit Saturn, das alles beeinflusst hat? Oder die Sternschnuppe? Oder einfach Vaniyas eigene Arbeit und Mühe?
Vielleicht hat mein Plan wirklich funktioniert. Vielleicht nicht. All dies blieb mir ein Geheimnis, aber jetzt war mir klar:
Wir schreiben unsere eigene Geschichte.