Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2025

Sarah Sheila Nana

Der Boden der Galaxie

Das ist unglaublich!
Hier bin ich nun, die Erde in meinem Augenwinkel. Mit all ihren Gewässern und umgebenden Wolken wirkt sie auf mich ein. Mit all ihrem Land, mit ihrem Grün, Gelb und Blau. So groß, wie ich mir die Sonne vorstellte zu sein, so detailliert wie das Universum selbst. Ich gucke aus dem Fenster. „Haben wir Kontakt zur Bodenstation?“, sagt eine Stimme und reißt mich aus meinen Gedanken. Elleutriv Stätilaer, oder auch Elle, wie ich sie nenne, ist die Astronautin, mit der ich mich gerade zwischen Raum und Zeit befinde. Die Silben schwingen abgehackt und mit einem Rauschen in mein Ohr. Mein Blick geht auf die vielen blinkenden Lichter in der Zentrale. Mit schwimmenden Bewegungen nähere ich mich langsam, jedoch sicher, den blinkenden Lichtern. Ich überprüfe den Funk. „Der Funk ist tot. Die Bodenstation erreicht uns nicht“, gebe ich von mir. Ich spüre, wie mir direkt wärmer wird. „Jemand muss raus und die Antenne checken“, entgegnet mir Elle. „Verstanden.“ Ich stülpe meinen Helm über den Kopf und blende meine Angst aus, während ich mich Richtung Ausgang fortbewege. Ich binde mir die weiße Sicherungsleine um, um wieder in die Kapsel zurück gelangen zu können. Ich gucke nach links, rechts, oben, unten. Ich gucke in die Ferne. Sterne, unzählige Sterne, unendliche Schwärze, Satelliten, die Schwerelosigkeit und die Sonne. Ja, die Sonne. Die Sonne, die täglich über der Erde auf- und untergeht. Die, die heller leuchtet, als eine Lampe es je könnte. Die, die uns Leben auf der Erde möglich macht. Mir wird warm ums Herz. Das ist unglaublich! Hier draußen zu sein ist anders, anders als jeder Simulator es je gezeigt hat. Keine Geräusche. Nur das Atmen in meinem Helm. Diese Aussicht ist unbezahlbar. Noch einige Sekunden gucke ich in die weite, weite Ferne, bis ich mich wieder auf meine Aufgabe fokussiere.
„Kapsel verlassen. Ich bin jetzt draußen.“ Ich halte mich an der Kapsel fest und taste mich Schritt für Schritt an ihr entlang. Angekommen. An der Antenne suche ich nach dem Problem. Aber auch nach mehrmaligem Überprüfen sehe ich keinen Fehler. „Problem ist unauffindbar“, berichte ich mit einer überraschend hohen Stimme. Aber was ist das? Ich höre mich selbst als Echo, aber abgehackter als sonst. Was ist passiert? Ich höre ein Rauschen. Das muss Elle sein. Die Wortfetzen prasseln nur so hintereinander auf mein Trommelfell, wie ein Wasserfall. Doch ich kann daraus nichts schlussfolgern. Mein Herz schlägt immer schneller und ich beginne zu schwitzen. „Elle!“, schreie ich nun mit voller Kraft. Das ist unglaublich! Warum hört sie mich nicht? Es fühlt sich an, als bekäme ich zu wenig Luft. Jetzt ist es so still, dass es fast wieder laut wirkt. Mein hastiger Atem im Hintergrund. Mein Herz schlägt so schnell, als würde es gleich herausspringen. Ein Krampf zieht sich durch jeden Muskel meines Körpers, mein Blut fließt schneller. Ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen: Ich muss einfach wieder zurück zur Kapsel. Ich will an die Sicherungsleine an meiner Hüfte fassen, die ich mir umgebunden hatte. Sie ist nicht da. Sie ist nicht da! Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Keine Verbindung zur Bodenstation, keine Verbindung zu Elle und keine Sicherungsleine! Das ist unglaublich! Ich blicke mich um. Der Mond in meinem Blickfeld. Der Mond. Er sieht nicht so aus wie in meiner Vorstellung. Er sieht kalt aus, so als würde er alles Gute einsaugen, so, als würde er nur darauf warten, dass ich versage. Ich zittere, mehr vor Angst als vor Kälte. Ich versuche es noch ein einziges Mal: „Elleutriv Stätilaer!“
Etwas berührt mich am Arm und plötzlich höre ich eine Stimme, klar und deutlich: „Nimm die Brille mal ab, du brauchst eine Gerätepause.“
Ich atme auf.
„Zeit auf den Boden der Realität zurückzukehren. Das Essen ist fertig.“