Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2025

Maxim Dietze

Writers of the Galaxy

Atanja

Was ist passiert?, dachte der Technik-Offizier Thoros. Gerade eben war er durch einen sehr lauten Schrei aufgewacht und der Alarm des Schiffes ging los. Schnell zog er seine Uniform an und verließ die Koje. Im Gang, den er betrat, herrschte pures Chaos. Personal und Offiziere liefen wild umher. Andere Passagiere, die vermutlich ebenfalls aufgeweckt worden waren durch den Knall, sahen sich verwundert um. Sofort lief er den Gang entlang und fragte alle, die ihm begegneten, was hier los sei. „Bitte sagen Sie mir, was ist hier los“, bat ihn eine junge Frau mit panischem Gesichtsausdruck. „Das versuche ich gerade herauszufinden. Warten Sie am besten auf weitere Anweisungen in Ihrem Quartier“, antwortete er ihr höflich, woraufhin er sich von ihr abwandte. „An alle Offiziere des Kolonialschiffes Atanja, begeben Sie sich umgehend zur Brücke!“, war aus den Lautsprechern des Schiffes zu hören. Endlich würde es Antworten geben. Zumindest erhoffte er sich das. Die Brücke lag auf der obersten Ebene des Schiffes. Dort waren auch die wohlhabenderen Passagiere und höherrangigen Offiziere untergebracht. Hier herrschte nicht so viel Chaos wie auf den Ebenen darunter. Mit ein paar Nachzüglern traf Thoros auf der Brücke ein, wo sich bereits alle Offiziere versammelt hatten. Als alle anwesend waren, trat die Kapitänin des Schiffes, Ira, vor. „Danke das Sie sich hier versammelt haben. Vor ungefähr zehn Minuten gab es eine Explosion bei den Triebwerken. Die genauen Ursachen sind noch nicht bekannt. Auch der genaue Schaden muss noch untersucht werden. Die Sicherheitsoffiziere sorgen dafür, dass sich alle Passagiere in den Aufenthaltsbereichen versammeln. Technikoffizier ersten Grades, Unterleutnant Thoros, Sie begeben sich mit einem Trupp von Technikern zu den Triebwerken und allen weiteren Bereichen, die möglicherweise beschädigt worden sind.“ Erster Technikoffizier? Er war zweiter Technikoffizier. „Was ist mit Jerome passiert?“ Die Kapitänin antwortete: „Er ist bei der Explosion bedauerlicherweise ums Leben gekommen. Ich erwarte den vollen Schadensbericht in 45 Minuten.“ Jerome war Thoros Vorgesetzter und irgendwie auch Freund auf dem Schiff gewesen. Sie hatten sofort aufeinander sympathisch gewirkt und Jerome war nur wenige Jahre älter als er gewesen. Normalerweise hatten sie sich die Aufgaben geteilt und waren somit schneller. Nun stand er unter doppeltem Druck.

Sofort machte Thoros sich mit ein paar Technikern auf den Weg zur Triebwerkssektion. Auf den ersten Blick schien der Schaden nicht gerade klein zu sein. „Nach unseren ersten Erkenntnissen scheint es einen Wartungsfehler gegeben zu haben. Die Treibstoffmischung muss bei der letzten Überprüfung falsch eingesetzt worden sein, weshalb sie instabil wurde und explodierte“, erklärte der Techniker vor Thoros. „Wenn es hier explodiert ist, sind vier der Nebentriebwerke auf jeden Fall ausgefallen. Wie steht es mit den anderen Triebwerken?“, fragte Thoros. Der Techniker fuhr fort: „Nach einem ersten Test wurden auch die beiden Haupttriebwerke getroffen, was die Explosion verstärkt hat.“ Das heißt, wir sind nicht mehr bewegungs- und manövrierfähig, dachte Thoros. Und um das zu reparieren bräuchte man eine Werft, und in diesem Sektor gab es keine. „Kontrollieren Sie umgehend die Treibstoffmischungen für die anderen Triebwerke. Wenn es hier einen Fehler gab, könnte es woanders auch noch Fehler geben, die sofort korrigiert werden müssen.“ „Ja, Sir.“ Daraufhin machten die Techniker und Ingenieure sich an die Arbeit. In diesem Moment kam ein ihm unbekannter Arbeiter zu ihm gerannt. Er blieb stehen und schnaufte kurz. Dann sprudelte es aber aus ihm heraus: „Sir. Sir, Sie müssen sofort zu den Lebenserhaltungssystemen. Der Schaden könnte größer sein, als wir dachten.“ Noch schlimmer konnte es wohl nicht werden, aber Thoros ging mit dem Arbeiter, der John hieß. „Also. Was ist los, John?“ „Die Explosion hat wohl auch die Sauerstoffversorgung beschädigt.“ Thoros war erschüttert. „Wie schwer? Können die Leitungen repariert werden?“ John schüttelte den Kopf. „Es ist vermutlich zu spät. Wir verlieren jede Sekunde Sauerstoff. Das Einzige, was wohl noch intakt ist, sind ein paar der Not-Tanks.“ „Für wie lange reicht der Sauerstoff noch?“ John überlegte kurz und antwortete: „Mit den Tanks noch für neun bis zehn Stunden. Und ich fürchte, nichts, was wir tun, wird unsere Zeit um mehr als eine Stunde verlängern.“ Eine Stunde mehr war besser als nichts. „Tun Sie, was Sie können.“ Daraufhin machte Thoros sich auf den Weg zur Brücke.

Trotz der Angst, die in ihm aufstieg, berichtete Thoros so ruhig und verständlich wie möglich. Die Kapitänin Ira war ebenso erschüttert wie John. Von ihrem Gesichtsausdruck konnte man denken, sie wünschte sich einfach umzufallen. „Das ist nicht gut. Die nächste bemannte Station ist eine Woche von hier entfernt. Und unser Ziel noch fünf Wochen. Und wir haben 1000 Siedler an Bord.“ „Nun Käpt’n, wir haben ein Rettungsboot an Bord. Damit könnten wir die Passagiere evakuieren. Mit denen würden wir es zwar nicht schaffen irgendeinen Stützpunkt zu erreichen, aber sie haben eine Kryofunktion. Wir warten einfach auf die Rettung.“ Auf das Argument des für Thoros unbekannten Offiziers erwiderte er: „In diesen Schiffen ist nur für die Hälfte Platz. Denn wir haben nur noch ein Schiff zur Verfügung. Das andere wurde bei der Explosion zu stark beschädigt“

Je länger sie alle auf der Brücke herumstanden, desto kritischer wurde die Lage. Das wussten alle, aber wie sollte man vorgehen? Wie konnte man vermeiden, dass Panik ausbrach? Gab es den keine Hoffnung auf Rettung? Mehrere der Crewmitglieder sprachen in diesem Moment ein stilles Gebet. Nun, eine Hoffnung auf Rettung würde es wohl doch geben oder ihre Gebete wurden erhört. „Wir haben genau eine Chance. Vielleicht.“ Sprach die Kapitänin. „Wir haben seit mehreren Minuten ein Objekt auf den Scannern, können jedoch keinen Kontakt damit aufnehmen. Alles deutet darauf hin, dass es ein anderes Raumschiff ist, also möglicherweise eine Rettung. Unterleutnant Thoros, Sie werden sich mit einigen Offizieren mit dem Rettungsboot auf den Weg zu diesem Objekt machen und nachsehen, was dort ist.“ „Was ist wenn wir uns täuschen und in irgendeinen Asteroidenschwarm fliegen?“, fragte Thoros. „Dieses Risiko müssen wir wohl oder übel eingehen.“

Auch wenn es da ein Unbehagen gab, sah auch Thoros ein, dass es keine andere Option gab. Mit den Piloten Erik und Lana bestieg Thoros das Rettungsboot und sie machten sich auf den Weg zu den Koordinaten. Dabei kamen sie an den Passagieren vorbei. Ihr Leben lag nun eventuell in seiner Hand.

Zu ihrem Glück waren es keine Asteroiden. Es war ein Schiff, allerdings kein funktionsfähiges Schiff. Es war ein Wrack. Ein Passagierschiff erster Klasse, stellte er fest. „Vielleicht ist ihnen etwas Ähnliches passiert wie uns. Ein Unfall oder so etwas?“, überlegte Lana. „Was auch immer es ist, wir werden ihr Schicksal nicht teilen“, erwiderte Thoros. Das durften sie nicht. Einige Minuten überlegten sie, ob sie mit dem Wrack irgendetwas tun könnten, und gaben währenddessen ihre Ergebnisse an die Atanja weiter. „Sir, wäre es möglich, dass es dort noch Sauerstofftanks oder so etwas gibt? Etwas, das uns retten könnte?“, fragte Erik. Thoros überlegte kurz und antwortete dann: „Es wäre zwar unwahrscheinlich, aber möglich. Geben Sie das an die Atanja weiter. Wir werden es versuchen. Machen Sie einen Raumanzug fertig!“

An einer Öffnung des Wracks dockte das Rettungsboot an und Thoros, der in einen Raumanzug gestiegen war, betrat das Schiff durch die Schleuse. Er führte dabei einen Schlauch mit sich, mit dem man den vielleicht noch vorhandenen Sauerstoff in das Schiff pumpen könnte und vom Rettungsboot in die Atanja. Je weiter er durch die Gänge schritt, umso stärker wurde sein Unbehagen. Es war nicht nur unheimlich, es war auch noch unwahrscheinlich. Er hatte solche Schiffstypen während seiner Ausbildung studiert und versuchte sich zu erinnern, wo die Tanks möglicherweise waren. Links, dann geradeaus, dann rechts, dann nochmal rechts – oder war es doch links? Er durfte nicht in Panik geraten. Das war das Schlechteste und Dümmste, was er tun könnte. Als er dann wieder abbog, lächelte er innerlich kurz auf. Wenn er diesen beschädigten und verwüsteten Raum richtig erkannte, waren hier die Lebenserhaltungssysteme. Er suchte nach den Tanks. Sie mussten hier irgendwo sein, und nach kurzer Suche fand er sie tatsächlich. Auf den ersten Blick schienen sie sogar tatsächlich noch intakt zu sein und enthielten Sauerstoff. Er schloss die Tanks an den Schlauch an und gab das Signal an seine Crew, dass der Sauerstoff nun abgepumpt werden könnte. Er tat das mit allen Tanks, die noch intakt waren und in denen noch Sauerstoff war. Gerade, als er fast fertig war, kam eine Nachricht aus dem Rettungsboot: Es war Erik: „Thoros, wir haben den Sauerstoff gescannt, den du zu uns schickst. Es sieht so aus, als könnte er leicht vergiftet sein.“ „Was soll das heißen, leicht vergiftet?“, fragte Thoros. „Durch die lange Zeit und vermutlich auch durch Beschädigungen am Schiff und an den Tanks ist es möglich, dass er nicht mehr im besten Zustand ist. Das lässt sich aber nicht genau sagen, auch, ob wir nur leichte Kopfschmerzen bekommen oder nach ein paar Stunden tot umkippen, kann man nicht genau ermitteln.“ Entweder sie würden alle in ein paar Stunden ersticken oder möglicherweise an Vergiftung sterben. Aber nur vielleicht. Was war das nur für eine Lösung? Entweder hätte Thoros die Atanja gerettet oder sie und ihre gesamte Besatzung zum Tode verurteilt. „Was sagt die Kapitänin dazu?“, fragte er darum. „Wir sollen den Treibstoff mitnehmen. Wir evakuieren so viele wie möglich auf das Rettungsboot und hoffen für die anderen das Beste. “ Es besteht Hoffnung für uns alle…!