Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2021

Nicolas Volanakis

Das Blut erkalteten Lebens

Die Kerze flackerte in hellem Schimmer und hüllte mich in ihr warmes, goldenes Licht. Sie war beinahe heruntergebrannt, doch das blühende Leben um ihren Docht schien hell gegen die Dunkelheit und warf leuchtende Schatten durch den Raum, die im strahlenden Glanz zu tanzen schienen. Ich spürte die Wärme der Flamme auf meinem Körper und sah, wie sie sich im flüssigen Wachs spiegelte, das langsam an der Kerze hinunterfloss. Der süßliche Geschmack kalten Tees lag in der Luft und mischte sich mit dem beißenden Geruch ausgebrannter Streichhölzer. Das leise Ticken einer Uhr dran an meine Ohren und ihr metronomischer Klang gab meinem pochenden Herzen ein Gefühl von Stille und Gleichmäßigkeit. Unaufhörlich fiel der Schneeregen gegen das Fenster und ich bemerkte, wie die weißen Flocken auseinanderquollen und in Tränen an ihm hinabrannen.

Meine Füße gruben sich tiefer in den Flor des Teppichs, als ich mit meinen Fingern über das kalte Glas fuhr, und das silbergraue Mondlicht auf meiner Haut schimmerte. Die nächtliche Landschaft lag wie ausgebreitet vor mir, und ich sah, wie der kalte Wind die weiten Felder durchzog, die von Schnee und Eis verkrustet waren und matt in der Dunkelheit flimmerten. Unzählige Gedanken umfingen mich, alle viel zu flüchtig, als dass ich sie hätte fassen können. Ich bemerkte den See in weiter Ferne und dachte an die kristallinen Wellen, die einst sein Ufer zärtlich geküsst hatten. Wie die hellen Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch die dichten Bäume suchten, und funkelnd und glänzend auf den wogenden Fluten schimmerten. Als die Abendsonne die Welt umfangen hielt, und sie in zärtliches, warmes Rot getaucht hatte.

Blass lagen die Wellen nun erstickt und verstummt unter dem Eis, das den erstarrten See verhüllt und unter dem kalten Frost begraben hatte. Die verkrümmten Bäume zu seinen Seiten, deren kahle Äste sich unter elenden Schmerzen zu winden und bleiche Tränen aus erstarrtem Harz in die Nacht zu weinen schienen, glichen alten, verwesenden Hüllen. Der Frost hatte alles Leben unter ewigem Eis begraben, nur der Regen leckte vereinzelt schmerzverzerrt wirkende Pflanzen aus der Schneeschicht heraus, die kein Gefühl mehr in ihren steifgefrorenen Körpern spürten und in Kälte und Einsamkeit ihr Ende finden würden.

Mein Atem war nicht mehr als ein schwacher Hauch und ich spürte, wie sich die Kälte mit ihm vermischte. Ich konnte das Echo tausender Schreie fühlen, die aus meinem Innersten hervorbrachen, als das Eis die Natur gehässig unter seinem kalten Leichentuch begraben und all das einst blühende Leben so grausam in sein erstarrtes Grab verbannt hatte. Der hämische Groll des weißen Flimmerns bedeckte die bleiche Welt um mich, in deren verkümmerter Landschaft nichts als der Wind geblieben war, der hasserfüllt und rachsüchtig gegen die vereisten Hüllen peitschte, die der Frost umhüllt und ermordet hatte, bevor das Blut ihrer kristallinen Splitter in der ewigen Dunkelheit zerfloss. Ich spürte den flammenden Zorn in meinem Herzen, doch es war zu alt und zu schwach, um diesem Gefühl noch eine Bedeutung geben zu können.

Kurz erblickte ich mein Abbild in der glatten Fensterscheibe und sah, wie es langsam in den Fluten des Regens zerrann. Der tobende Schmerz, der aus meinem Herzen floss, durchzog meinen zitternden Körper, doch ich spürte ihn nicht mehr. Jedwedes Leben war meinen flimmernden Augen gewichen, die in dem ewigen Hass der Kälte nichts als verkümmerte Leichen und verkrustete Hüllen erkalteten Blutes mehr wahrnehmen konnten. Die Kerze zuckte und flackerte, und das Licht, das mich so glänzend erhellt hatte, das mir Wärme und Hoffnung gegeben hatte, wurde schwächer und schwächer und zerrann in den Schatten.

Und dann erlosch es.

Die Kerze flackerte ein letztes Mal, als das glühende Leben in aschfahlen Schwaden verquoll und hilflos und flirrend in der Dunkelheit verblasste. Tiefschwarzer Rauch drang aus den letzten, noch leuchtenden Funken des Dochts, deren blühender Atem in den Fluten des Wachses auf ewig verstummte. Die Dunkelheit umhüllte meinen Körper und der stechende Geruch ausgebrannten Lebens umfing mich. Die Kerze, deren leuchtender Tanz einst auf meiner Haut geschimmert hatte, war nun still und fühlte nicht mehr, wie ihr zerronnenes Wachs in blutenden Tränen an ihr herabquoll und in der Dunkelheit erkaltete. Und als dieses knospende Leben in dem Blute seines Wachses erstickt worden war, verstummte mein pochendes Herz in Stille der ewigen Kälte der Nacht.

 

Volanakis, Nicolas