Ronja Herrmann (18 Jahre)
Preisträgerin Gruppe 15-21 Jahre:
Kategorie Kurzgeschichten zum Thema "Mitgefühl"
Ohnegefühl
Teil 1
Ich wurde im Jahr der großen Genwende geboren.
Wie eine Sternschnuppe kam ich auf die Welt, erzählten meine Eltern mir früher immer, während ich mich kichernd in meine Bettdecke kuschelte und mir vorstellte, wie ich geleuchtet haben muss.
Erst ein paar Jahre später, als die Grundlagen der Gentechnik im Lehrplan zur Pflicht
gemacht und die Schüler mit Begriffen wie "identisches Mutterindividium" und "Embryonenklonung" für ihre Abschlussprüfung gequält worden sind, haben meine Eltern mir erklärt, was damit wirklich gemeint war.
Bei meiner Geburt war ich keine strahlende Schnuppe, sondern quasi tot, ein schwaches Bündel aus Haut und Knochen, fast erloschen und still, wie ein gefallener Stern.
Tödliche Herzinsuffizienz, lautete die professionelle Diagnose des betreuenden Arztes, aber da ließe sich etwas machen.
Dank der Genwende lässt sich heute fast immer etwas machen. Natürlich kann man noch kein Aids heilen, aber an Krebs und Herzschwäche ist schon lange niemand mehr gestorben; nicht seit der Aufhebung des Embryonenschutzgesetzes. Ein neues Herz, eine zweite Niere und eine hübschere Nase? Durch die erfolgreichen Klonungen der ersten Ohnefühler sind für uns Mitfühler solche Wünsche bereits seit Jahren Alltag.
Und ich war eines der ersten dieser wissenschaftlichen Wunder, drei Wochen nach meiner Geburt wurde ich in Vollnarkose versetzt, aufgeschnitten und während ich von fliegenden Drachen und sprechenden Wolken geträumt haben muss, ist mein schwaches flatterndes Herz ausgetauscht worden. Am nächsten Morgen soll ich zum ersten Mal geschrieen und meine Mutter vor Glück geweint haben.
Seitdem hatte ich ein Stückchen Ohnefühler in mir. Manchmal musste ich mich
vergewissern, ob das Herz noch schlug, und ich legte mir plötzlich eine Hand auf die Brust und spürte einfach nur das Pochen; und in meiner kindlichen Fantasie war jeder Herzschlag der Aufprall einer Sternschnuppe im Ozean.
In der Vorschule wurde ich noch seltsam angeschaut, die Erzieher tuschelten und Menschen auf der Straße hielten inne, wenn sie meine Eltern mit mir erkannten, verurteilten ein fünfjähriges Kind. Mein Fall geisterte lange in den Medien; Monsterkind! Ich war berühmt, ohne es zu wissen und litt darunter, ohne damals zu verstehen. Aber als ich alt genug war, um zur Grundschule zu gehen, war die Ökozeit der Anti-Genmanipulations-Demos und des Menschenschutzes endlich vorbei; kaum einer hatte nicht mindestens ein paar ohnefühler Stammzellen in sich. Und während ich Rechnen lernte und im Alphabet immer M und N verwechselte, vergaß ich, wie es sich anfühlte, anders zu sein.
Die weiterführende Schule war also kein einziger verzweifelter Versuch mehr,
dazuzugehören. Meine Eltern waren nach meinem Wissenschaftswunder viel zu erleichtert gewesen, dass ich doch meine Stimme gefunden hatte, viel zu froh gewesen, dass sie ihre zarte Monster-Tochter hatten, was dazu führte, dass ich tun und lassen konnte, was auch immer ich wollte.
Meine blühende Fantasie blieb beständig, wurde jedoch vereint mit dem unverschämten Mundwerk meiner besten Freundin Mai zu dem Albtraum jedes Pädagogen, bis selbst ich einsehen musste, dass unsere Lehrer nicht zu beneiden waren. Und falls ich dennoch manchmal im Unterricht innehielt und mich auf das Herzpochen konzentrierte, dann war es nichts weiter als ein stetiges Klopfen für mich. Selbst die größten Wunder verlieren mit dem Alter ihre Magie, und mit 17 war man ja bekanntlich bereits uralt.
Und mit meinen mittlerweile 19 Jahren gehört einem die Welt. Selbst dann, wenn man gerade am Studieren ist und sich sein spärliches Leben vor allem in der
Universitätsbücherei, im Hörsaal oder in der lausigen Kantine abspielt.
Teil 2
"Widerlicher Fraß", meckert dort meine Freundin ohne Hemmungen in der Schlange zur Essensausgabe - es bringt ihr einen vernichtenden Blick der Servicekraft ein. Wir wählen beide das gleiche Gericht: mehlig klumpend, verronnene Lebensmühe. Ganz nach unserer Devise "geteiltes Leid ist hoffentlich halbes Leid". Damit haben wir uns bereits zusammen in die größten Niederlagen geworfen - aktuell, der Biotech-Kurs für Fortgeschrittene an der Universität Schweinsfuhrt. Die Wissenschaft hat mir mit jungen drei Wochen das Leben gerettet, jetzt widme ich ihr meine Zukunft, koste es so viel Schlafmangel und schlechtes Essen wie es wolle.
Auf den Tischen der Kantine haben sich Generationen von Studenten verewigt, auf deren kindische Kommentare schieben wir jetzt die Essenstabletten, quietschender Edelstahl auf Metall.
"Ich darf endlich neue ohnefühler Augen haben - in blau! Geil, nicht?"
"Mhhmm."
Ich schaue von meinem Teller auf. Mai sitzt gebeugt über einen OP-Katalog neben mir, vergleicht Auge um Auge, setzt Kreuzchen neben ihre Favoriten, himmelblau wie Schlumpfeis. Eine grelle Anzeige auf der linken Katalogseite prangert ein Sonderangebot an, 50% Rabatt zur Weihnachtszeit. Das OP-Business boomt so kurz vor Sylvester, jeder will das neue Jahr mit einem besseren Körperteil, einem neuen Ich beginnen.
Es ist fast makaber, wie die Transplantationen vor zwanzig Jahren selbst zum Leben
retten zu verpönt waren - mittlerweile sind sie ein einfacher Tapetenwechsel.
"Willst du dir nicht endlich auch mal was machen lassen? Das ist doch nicht
normal, so konservativ zu sein - fast schon wie ne Nonne."
Ich weiß es nicht, und das sage ich ihr auch. Seit meinen turbulenten ersten drei Wochen habe ich mich nie mehr unters Messer gelegt, instinktiv. Vielleicht hohle ich mir in ein paar Jahren eine neue Nase, meine hat diesen hässlichen Knick seit ich kopfüber in ein Blumentiefbeet gefallen bin. Vielleicht habe ich aber auch dann noch zu viel Angst. Das Herz pocht manchmal immer noch so, als wolle es zerspringen.
Monsterkind!
Manchmal sind beste Freunde schlimm, sie kennen dich nicht nur, sondern erkennen
einen. Mai hebt eine Augenbraue, setzt zum Nachforschen an.
"Wir kommen zu spät zu Gentechnik, soll nicht heute der praktische Anteil des
Semesters beginnen?", lenke ich ab - mit hundertprozentiger Wirkung.
Meine Freundin würde niemals bei Professor Ludke zu spät kommen wollen - nicht aus Respekt, sondern weil sie so auf ihn steht.
Die Schritte auf den Weg zum Hörsaal hallen im verlassenen Flur, Freitagnachmittags
wirkt selbst die Uni wie tot. Die Studenten hängen in den Stühlen, den Kopf auf die Hand gestützt, pure Demotivation.
Professor Ludke betritt den Hörsaal. Er ist eine makellose Erscheinung, poliert und unangenehm. Sein Alter ist schwer einzuschätzen, nicht eine Bartstoppel, weder Runzeln noch Krähenfüße zieren sein Gesicht. Man munkelt, er sei einer der mutigen ersten gewesen, die eine ohnefühler Ganzkörperhauttransplantation durchgeführt haben. Es scheint sich ausgezahlt zu haben, sowohl Studentinnen als auch Studenten schmachten ihn an, seine Gentechnik-Vorlesungen sind immer bis zum letzten Stuhl von Lernbegierigen belegt.
Ich kann ihn nicht ausstehen.
Aber heute ist er nicht allein. Vorfreude breitet sich in mir aus, während ich die beiden Begleitpersonen unter Augenschein nehme. Sie tragen Anzüge und sehen gewissenhaft aus; die Brust voraus, so, als hielten sie zu viel von sich selbst. Das Logo "Biotech-Company" auf den Anzugärmeln ist so grell gehalten, dass es fast schon schmerzt. Die revolutionäre erste Firma, die jemals das Klonen von Ohnefühlern ermöglicht und später weltweit die Genwende durchgesetzt hat.
Das kann nur heißen, dass wir wirklich endlich mit dem praktischen Semesteranteil beginnen, nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit Namen der Unterstützer der Genwende und Jahreszahlen büffeln mussten. Das Datum, an dem die Definition Mensch im Brockhaus die Unterkategorie "Mitfühler" bekam, scheint sich seit der letzten Klausur in mein Gehirn eingebrannt zu haben.
Ich lechze nach Praxisunterricht.
Aber natürlich beginnt der Professor seine Stunde mit einem Monolog, gespickt mit wichtigen Zahlen und großen Begriffen, unglaublich unnötig.
"Die Wissenschaft hat durch die Biotech- Company im Jahr 2019 unglaubliche
Fortschritte gemacht, indem sie das ethnisch unproblematische Klonen von
Menschen ermöglicht hat. Wie das? Weil bewiesen worden ist, dass sich die Klone
in einem Punkt schwer vom Menschen unterscheiden: Sie sind ohne Gefühle. Von
außen sehen die Ohnefühler täuschend echt aus wie wir Mitfühler, besitzen sogar die
gleichen Lebensfunktionen, aber jemand, der nicht fühlt, ist nicht menschlich" bla
bla bla...
Meine Gedanken schweifen ab.
Über die Genwende muss mir niemand etwas erzählen, sie ist Teil von mir. Dass
Professor Ludke die Hälfte seiner Studenten für dement hält und diesen kleinen Einführungsvortrag jede Vorlesung aufs Neue hält, hilft auch nicht sonderlich. Viel gespannter bin ich darauf, was die Mitarbeiter von Biotech an unserer unscheinbaren Uni wollen. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich deren Uniform trage, wie das Logo mich schmücken würde, arrogant, höhnisch - aber, mein Ziel wäre erreicht.
Es gelingt mir nicht. Vielleicht kommt das mit der Zeit, hoffentlich. Noch fehlen einige Semester, bis ich mich mit dem abgeschlossenen Studium bei der Company bewerben werde.
Ein Raunen geht durch den Saal, schreckt mich erbarmungslos aus meinem Tagtraum.
Die Präsenz einer weiteren Person auf dem Podium wirft mich für einen kurzen
Augenblick aus der Bahn.
Ein Junge, etwa 1,82 m, attraktiv mit seinem dunkel gelockten Haar - aber keine Spur
Selbstbewusstsein in der Haltung, im leeren Blick.
"Wer ist das denn?", zische ich Mai zu, die mich nicht einmal eines Blickes würdigt.
In derselben Sekunde sehe ich aber auch die Tätowierung, die seinen Hals ziert. Also
doch kein Junge - ein Ohnefühler!
Mein ganzes Leben basiert auf einer Transplantation, und doch ist es das erste Mal, dass ich einen Blick auf einen werfe. Man könnte meinen, Ohnefühler wären ein Staatsgeheimnis, so, wie sie aus der Öffentlichkeit verbannt sind - zum Schutz der Spendenkörper natürlich.
Ich habe sie mir nie so einschüchternd hübsch vorgestellt - abgesehen vom nichtssagendem Gesichtsausdruck, vom undurchdringenden Blick ins Nirgendwo. Was nützt dieser schöne Körper, wo er doch nur eine leere Hülle ist?
Er sähe einem Mitfühler zum Erschaudern ähnlich, wenn da nicht ab dem linken Handgelenk abwärts einfach nichts mehr wäre. Der Stummel sollte mich an die Krüppel aus den Katastrophenbildern vor der Genwende erinnern, an die damaligen Kriegsveteranen und die schlimme Zeit vor den ersten Transplantationen, die im letzen Semester Thema war.
Ich denke stattdessen an unseren ersten Urlaub in Marseille, brüllende Hitze und überfüllte Straßen. Im klimatisierten Supermarkt, in dem wir Schutz gesucht hatten, gab es ganze Aquarien mit lebendigen Hummern, denen die Zangen einzeln, Tag nach Tag, zum Verkauf herausgerissen wurden - die brachten nämlich den größten Gewinn.
Der Professor spricht mittlerweile über die übereinstimmende Kopie menschlicher Stammzellen, über perfektionierte Gene. Beweist es am Körper des Klons - sehr gute Proportionen, seht, diese ausgeprägte Knochenstruktur!
Spätestens als wir aufgeklärt werden, dass dieser Ohnefühler seine erste Transplantation - die linke Hand - besonders gut überstanden hat und deshalb bereits nächste Woche seine Kappungstransplantation erhält, beginnt mein Magen verrückt zu spielen. Bestimmt der widerliche Kantinenfraß.
Wir Studenten werden aufgefordert, uns in einer Reihe aufzustellen, jeder darf den Ohnefühler einmal anfassen, sich von der Echtheit dieser Hülle überzeugen - wie im Streichelzoo.
Mittlerweile ist die Überraschung und Aufregung im Hörsaal abgeklungen, der Freitag nähert sich dem Ende zu, jeder will trotz des spektakulären Ohnefühlers nur noch nach Hause ins traute Heim oder in die gut gefüllte Bar neben dem Kampus.
Selbst die Biotech-Mitarbeiter haben die anfängliche Wachsamkeit abgelegt, ich erwische den etwas untersetzteren der beiden dabei, wie er verstohlen einen Blick aus der Fensterfront wirft, ein Gähnen, bis -
Teil 3
Gefahrensituationen werden immer geübt, Katastrophenpläne bis ins kleinste Detail
Perfektioniert - insgeheim wartet jedermann darauf, dass endlich einmal etwas passiert, um zu beweisen, wie reibungslos das Uhrwerk funktioniert. Bis es dann doch nicht funktioniert.
Ein Knall. FeueralarmKreischenChaosLärm!
Hilfe! Wer schreit dort? Warum hilft denn keiner?
Ein Schlag auf den Kopf und -
Stille.
Ich kann nichts mehr sehen vor Rauch. Jetzt will ich ein paar sehende himmelblaue Schlumpfeisaugen.
Der normale Mitfühler ist nicht dafür gemacht, auf dem Boden zu krabbeln und sich gegen Wände aus beißendem Rauch und höhnische Feuerglut vorzukämpfen. Ich habe das Drachenbändigen nie gelernt.
Mein Kopf kollidiert mit Glas - eine Brandschutztür, jubelt der Teil in mir, der zu selbstverliebt ist, um aufzugeben, zu egozentrisch, um einzusehen. Ich kniee mich hin, presse meinen Körper an das erhitzte Glas und taste nach dem Türgriff.
Sie ist zugeschlossen.
Ich weiss nicht, ob an meiner Hand nur geschmolzenes Plastik oder verschmorte Hautfetzen kleben. Ich weiss nicht, wieso Brandschutztüren überhaupt verschlossen sein dürfen, aber ich weis, dass das Feuer nicht einmal vor Mitfühlern halt macht.
Flammen kennen kein Mitgefühl. Barbarisch, erbarmungslos - aber, immerhin, gerecht.
Die wenige Sicht, die der Rauch zulässt, zeigt ein Flattern hinter der Tür. Jemand presst sein Gesicht dagegen. Ich kämpfe mich nach oben, hämmere gegen die Schutztür, die mir den Weg versperrt.
Von draußen wird an der Tür gerüttelt - endlich scheinen Mitfühler mir zur Hilfe zu eilen. Kein Mitfühler - ich schaue direkt in das Gesicht des Ohnefühlers. In seinen Augen sehe ich etwas und dann bin ich blind, schwarz und tot.
Der Meteor ist jetzt doch gefallen, verglüht und bereits erloschen.
Teil 4
Ich bin nicht wirklich tot, lautet meine nächste Erkenntnis, während ich wieder aufwache. Sehr geistreich. Und blind bin ich auch nicht, wenn man dem grellen Licht über meinem Gesicht glauben schenken darf. Ein Krankenhaus: steril, unangenehm - aber, meistens wirksam.
"Sie wacht auf."
Das Herz pocht zum ersten Mal seit Jahren wieder schmerzhaft laut, jeder Schlag gibt mir einen kleinen Stich.
Ich habe etwas gesehen.
"Was ihre Tochter jetzt vor allem braucht, ist Ruhe. In etwa zwei Wochen werden
die Nähte verheilen, in vier Wochen liegt sie bereits wieder daheim in ihrem Bett."
Ich versuche etwas zu sagen, will meine Gedanken ordnen; bevor ich es schaffe, meinen Mund zu öffnen, entgleite ich in die Welt der Träume.
Ichhabsgesehenichhabsgesehen.
Vier Wochen vergehen unglaublich schnell, wenn man sie unter Zugabe von Betäubungsmittel n verbringt. Ich bin früher wieder zuhause, als es mir lieb ist.
Nach und nach erfahre ich auch die ganze Tragödie durch ein Telefonat mit Professor Ludke, der mich unzählige Male um Verzeihung bittet und mir einen Termin zur Aussprache anbietet. Schmieriger Typ.
Die Kantinenköchin hatte in der Küche ein Gasherdventil nicht richtig geschlossen gehabt, als der Hausmeister bei der Kontrolle der Kantine eine Kippe anzündete, kam es zur Explosion. So schnell kann ein Teil eines fließenden Uhrwerks rosten, so schnell kommt es zur Katastrophe.
Betroffen waren nur die Zimmer des Obergeschosses direkt über der Kantine, von denen glücklicherweise auch nur der Hörsaal von Professor Ludke belegt war. Keine Toten, nur eine Verletzte. Der ganze Saal ist evakuiert worden- nicht schnell genug. Keiner hatte mitbekommen, wie ich im Chaos über eine Stufe gestolpert bin und mir den Kopf aufschlug. Keiner hatte mich vermisst, bis der Klon aus dem Gebäude gerannt kam und einen Aufruhr verursacht hatte. Ich bin bewusstlos im Hörsaal hinter der Glastür gefunden worden, mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades. All das weiß ich schon nicht mehr.
Der Ohnefühler ist kurz nach dem Brand gekappt worden, er hatte im Universitätsgebäude zu viel Rauch eingeatmet. Keiner braucht verräucherte Organspender; verständlich.
Sie spüren das Kappen sowieso nicht, sind kalt, steinern - ja, gefühllos.
Während ich das Telefonat auflege, lasse ich mich zurück in das Bett fallen, versuche, mich zu sammeln.
Die Genwende hat zum zweiten Mal mein Leben gerettet. Fast mein kompletter geschundener Körper wurde mit ohnefühler Transplantationen wieder zusammengeflickt, Brustkorb, Muskelgewebe, Gebärmutter. Hätten meine überdankbaren Eltern nicht bereits jeden entbehrlichen Cent für meine Genesung ausgegeben, würden sie ihr zu Ehren bestimmt ein Denkmal errichten wollen.
Ichhabsgesehen.Ichhabsgesehen!
Etwas in mir will sich erinnern, trifft auf eine Barriere aus Glas. Eine kurze Amnesie von der starken Gehirnerschütterung, meinte die Krankenschwester gestern zu mir, in ein paar Tagen sei ich schon wieder ganz die Alte.
Ich meide den Spiegel im Bad, über den kleineren in meinem Zimmer hänge ich ein
unbenutztes Bettlaken. Das fühlt sich kurz gut an, wie ein weicher, weißer Neuanfang, der nach Waschmittel und Geborgenheit riecht. Dann fühle ich mich kindisch und reiße das Laken herunter. Ich sehe mich zum ersten Mal seit dem Brand richtig an, geradeheraus, aufrichtig, grausam.
Die Person im Spiegel ist hübsch. Hübscher als davor, das ist sicher. Noch sind einige Nähte angeschwollen, der Arzt musste an so vielen Stellen zugleich ansetzen, so viel ersetzen, in meinem Kopfkino puzzeln Chirurgen mit nicht passenden Puzzleteilen.
Ich vermisse meinen Knick in der Nase.
Die Augen sind jetzt wirklich heller als davor, nicht schlumpfeisblau, dafür aber wie der Ozean. Sie werden Mai gefallen, wenn ich sie wieder sehe.
Ich habe etwas gesehen.
Jetzt fällt es mir wieder ein.
Mir wird speiübel, ich renne in das Badezimmer, Speichel mischt sich in dem Mund mit Galle zu einem widerlichen Cocktail von Gefühlen.
Es ist nur ganz kurz aufgeblitzt, als sich unsere Blicke getroffen hatten. Aber ich habe es ganz sicher gesehen.
Mein Herz pocht.
Der Ohnefühler hat mich nur einen Moment lang durch die Glastür angeschaut.
Aber das hat gereicht.
In seinen Augen, da war für eine unglaublich lange kurze Sekunde etwas zu sehen.
Echtes Mitgefühl.