Jugend-Preis-Verleihung
Jeanette Koch-Reinfrank
Rede 28.10.13 Stadtbibliothek, Ludwigshafen
"Deine Wünsche - meine Wünsche" - das passt leider nicht immer zusammen. Zum Beispiel:
Ich wünsche mir dein Smartphone, aber du willst es mir nicht geben.
Ich wünsche mir, dass du mein Freund bist, aber du magst lieber mit andern zusammen sein. Ich wünsche mir mehr Zeit mit meinen Eltern, aber die arbeiten beide und haben danach auch noch viel zu tun.
Du freust dich auf die Ferien am Meer, aber deine Familie will in die Berge, oder sie hat nicht genug Geld für eine Reise.
Aber Wünsche darf man trotzdem haben, ja, ich glaube, man muss sie haben, genauso, wie man Träume haben muss. Wer am Träumen gehindert wird, der wird krank.
Hier in Ludwigshafen gab es einen berühmten Philosophen, einen Denker, ein Mann, der von Berufs-wegen jeden Tag über alles Mögliche nachgedacht hat, auch über Wünsche.
Ernst Bloch ist sein Name. Und der hat gesagt, dass man Wünsche haben soll, auch dann, wenn sie nicht verwirklicht werden können. Dadurch, meint er, kann sich die Wirklichkeit eines Tages verändern und verbessern. Man soll niemanden auslachen, wenn er dir sagt, was er oder sie wünscht. Man muss das Hoffen nämlich lernen - sagt Bloch. - -
Und wenn meine Wünsche einmal erfüllt werden und deine nicht, dann wäre es natürlich am schönsten, wenn man gelernt hätte zu teilen. Das hat Arno Reinfrank in einem Gedicht so ausgedrückt:
"Beim Spielen lernen wir: Ein jeder darf mal an den Ball!
Vor einer Tüte Kirschen rufen wir: Kommt her, wir teilen!"
Freiheit aber ist unteilbar. Was ist Freiheit? Wenn man tun und lassen kann, was man will? Oder wenn man alles kaufen kann, was man sich wünscht? Ist also Freiheit abhängig vom Geldbeutel? Tun oder haben, was man will - ja, das könnte vielleicht eine Antwort sein auf die Frage, was Freiheit ist.
Doch ist unser Wille überhaupt frei? Klar, das ist ein schweres Thema. Es gibt so viele Fragen. Jede Erklärung, was Freiheit ist, hat neue Fragen zur Folge. Vielleicht ist es mit der Freiheit so wie mit allen anderen Werten, der Gesundheit zum Beispiel. Man kann viel leichter sagen, was sie nicht ist. Gesund bist du dann, wenn du nicht krank bist Ähnlich ist es mit der Freiheit: Freiheit ist die Abwesenheit von Unfreiheit.
Wann bist du nicht frei? Eine Schülerin hat mir geantwortet: "Wenn ich verheiratet bin." Das war zum Lachen, aber irgendwie auch richtig, oder? Wenn man im Gefängnis sitzt, dann ist man auch nicht frei. Da fällt mir ein Lied ein, das ich in Deutschland schon öfter gehört habe:
Und sperrt man mich ein in finstere Kerker,--
das alles, das sind vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei, die Gedanken sind frei! - -
Was war Freiheit für Arno Reinfrank? Ohne Freiheit, hat er gesagt, gibt es auch keine Poesie, keine Literatur. Denn man muss frei sein, um seine eigene Einbildungskraft entfalten und die eigenen Gedanken ausdrücken zu können, und nicht, was andere von einem verlangen.
Heute sind Kinder nicht mehr gezwungen zu arbeiten, außer hier und da in fernen Ländern wie in Afrika oder Asien. Dafür stehen wir oft unter dem Einfluss einer Gruppe. Es gibt auch in den Schulen manchmal einen Gruppenzwang. Es soll vorkommen, dass ein Schüler ausgegrenzt und sogar gemobbt wird, wenn er Schuhe trägt, die nicht mehr modern sind. Unser Wille wird allzu leicht manipuliert durch Videospiele oder Filme, die nichts mehr mit der Lebenswirklichkeit zu tun haben, sondern mit einer un-erreich-baren Scheinwelt. Dann wird Realität verdrängt. Und statt sich zu entwickeln und zu lernen, Verantwortung für die Welt und Umwelt zu übernehmen, tummelt man sich abseits in einer virtuellen Realität der Illusionen.
Arno hat einmal ein realistisches Gedicht für Schüler geschrieben. Darin lautet eine Strophe:
Der Baum will hoch hinaus, wie wir als Schüler,
Das Wartenmüssen auf das Großwerden ist eine Qual.
Wir wollen frei sein, arbeiten- - und Geld verdienen:
Der Stundenplan steht über uns, neben dem Baum ein Pfahl!
Es war ein langer Weg bis zu der Freiheit, die wir heute haben. Bis vor wenigen Jahrzehnten war nur der Ehemann geschäftsfähig, seine Frau durfte kein eigenes Konto bei der Bank haben. Oder: Die Bundeskanzlerin trägt selbst bei offiziellen Anlässen einen Hosenanzug. Noch in den 60er Jahren hätte sie in solchem Kostüm im Bundestag keine Rede halten dürfen, es war für die weiblichen Abgeordneten verboten.. Wusstet ihr das?
Ich selber hätte gern nach meinem Studium eine Lehre in einem Antiquitätengeschäft begonnen, aber das war damals noch nicht möglich für ein Mädchen. Die Sufragetten in meiner Heimat England demonstrierten und erlitten Demütigungen und Gefängnisstrafen, weil sie für gleiche Rechte eintraten, die für uns heute eine Selbstverständlichkeit geworden sind.
Wir stehen auf ihren Schultern.
Es war ein langer und langwieriger Kampf, bis unsere Gesellschaft dieses hohe Maß an Freiheit für den Einzelnen erlangen konnte, in dem die Freiheit wachsen konnte - - wie ein Baum. Ein Baum braucht, damit er gedeihen kann, Nahrung und Wasser aus dem Boden, und Licht von oben. Damit der Mensch in Freiheit wachsen und reifen kann, braucht er Frieden.
Und für ihn, für den Frieden, müssen wir uns alle einsetzen.
Hundertsechsundsechzig Menschen sind hier in Ludwigshafen einmal in der Zeit der Nazi-Diktatur ihrer Freiheit beraubt worden. Hundert Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, von ihrer Wohnung, von ihren Spielsachen. Man transportierte sie in Lager, und nur ein einziges Kind hat dort überlebt. Zusammen mit ihrer Freiheit verloren sie das Leben.
"Der lebt erst, der in Freiheit lebt!"
heißt es in dem Gedicht (schon im 14. Jahrhundert!) von John Barbour aus meiner Heimat England. Und in einem Gedicht von Arno Reinfrank heißt es.
Wir müssen achten, dass ein Zug uns nicht entgleist
Und dass der Fluss uns nicht die Dämme niederreisst,
Wir müssen sorgen, dass uns nichts in Unheil treibt
Und dass der Schüler es schon an die Tafel schreibt:
WIR MÜSSEN SORGEN, DASS UNS FRIEDEN BLEIBT.
Dankeschön!
Jeanette Koch