Carolin Golas (15 Jahre)
Kategorie: über 12 Jahre.
Kurzgeschichten - Thema Freiheit
Für immer frei
Wenn ich weinen könnte, würde ich das jetzt tun. Aber ich kann es nicht. Ich starre in das lodernde Feuer und kann förmlich spüren wie es sich in meinen gelben Augen wiederspiegelt. Warum? Nur dieses eine Wort spukt mir im Kopf herum. Ich verstehe es einfach nicht. Warum machen sie das? Warum? Ich sehe wie die Natur ihren wunderschönen, magischen Glanz verliert, als sich das Feuer langsam durch den Wald frisst. Ich trete etwas weiter in den Schutz des noch von Menschenhand unberührten Teil des Waldes zurück. Meine Trauer wandelt sich augenblicklich in Wut um . Ich kann aber nichts tun. Sie wissen gar nicht wie mächtig sie wirklich sind. Ihnen gehört die Welt, aber sie nehmen es nicht einmal wahr. Sie nehmen sich alles und geben nichts zurück. Sie denken nur an sich. Wir sind machtlos. Ich wünschte, wir könnten euch ausrotten. Ich wünschte, wir könnten euch spüren lassen, wie es ist, alles zu verlieren, was man hat. Ich denke traurig an meine Familie zurück. Meinen Vater haben sie umgebracht. Ich sehe noch seinen traurigen, hilflosen Blick vor mir, als ihn ein spitzer Pfeil trifft und er zu Boden sinkt. Sie haben sich sofort auf ihn gestürzt und seine glasigen Augen haben in den Himmel gestarrt, als sie ihn weggetragen haben. Meine Mutter ist in eine der Fallen geraten, die sie überall aufstellen. Sie ist noch an Ort und Stelle gestorben. Ich habe bis in die Nacht vor ihrem Leichnam Wache gehalten, bis sie zurückgekommen sind. Ich bin geflüchtet. Mein Herz zerspringt fast vor Trauer, als ich an meinen kleinen Bruder denke. Er wurde eingefangen und in einen kleinen Käfig gesteckt. Ich habe ihn zum letzten Mal gesehen, als sie ihn in eines ihrer großen Monster stellten und wegfuhren. Er war noch so jung und hatte noch sein ganzes Leben vor sich. Ich schaue immer noch starr in die Flammen und kann immer noch kaum glauben, was dort vor sich geht. Ich erinnere mich immer noch lebhaft daran, wie mein Bruder und ich zusammen im Wald gespielt haben. Das alles war noch nicht so lange her. Zu dieser Zeit waren sie noch nicht da und alles war so schön, so perfekt. Wir kletterten zusammen auf Bäume und ich konnte da noch das wunderschöne Grün des Waldes erkennen, welches so magisch im Glanz der Sonne wirkte. Das alles ist jetzt nur noch Asche und der Glanz verliert sich im Feuermeer. Ich sehe meinen Bruder wie er zusammen mit mir durch den Fluss schwimmt und wie sein schwarz-orange gestreiftes Fell das Wasser abwehrt, sodass er leichter schwimmen kann. Ich vermisse ihn so sehr, genau wie meine Eltern. Sie waren immer für mich da, jetzt sind sie einfach weg und hinterlassen eine schmerzhafte Leere in meinem ohnehin schon gebrochenen Herzen. Ich habe so schreckliche Angst. Ich sehe wie ein Baum mit einem lauten Krachen auf den Boden fällt. Ich halte es nicht mehr aus. Ich muss hier weg. Ich drehe mich um und renne. Ich spüre den Wind, der mein Fell zerzaust. Es ist aber nicht der sanfte, erfrischende Wind, den ich kenne. Es ist ein dreckiger, warmer Wind, der nach Feuer riecht. Ich bleibe auf meiner Lieblingslichtung stehen. Ich fühle mich in meiner eigenen Heimat nicht mehr sicher. Plötzlich spüre ich einen Stich und drehe meinen Kopf. Ein sehr kleiner Pfeil steckt in meinem Körper. Sekunden später folgt ein zweiter, dann ein dritter Pfeil. Ich sehe alles nur noch verschwommen und sacke in mich zusammen. Ich will aufstehen, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich sehe nur noch eine schemenhafte Gestalt auf mich zukommen. Meine Angst ist größer denn je. Dann fallen meine Augen zu.
Als ich aufwache, denke ich zuerst, ich sei tot. Doch dann kann ich Gitterstäbe erkennen und ich weiß, dass ich in einem Käfig bin. Ich will hier raus. Ich nehme so viel Anlauf wie es der kleine Käfig zulässt. Mit einem lauten Krachen werfe ich meine rechte Körperhälfte an die Gitter. Ich zucke vor Schmerz zusammen, aber es tut sich nichts. Ich höre jemanden laut rufen. Er klingt sehr bedrohlich, doch ich werfe meinen Körper erneut an das Gitter. Nach mehreren Versuchen wird mir klar, dass es sinnlos ist. Plötzlich wird die schwarze Decke, die über dem Käfig liegt, weggezogen. Ich werde von hellem Licht geblendet und sehe einen Mann, der ein Metallstück in der Hand hält und versucht, mich durch die Gitterstäbe hindurch damit zu schlagen. Ich kann mich noch rechtzeitig in den hinteren Teil des Käfigs in Sicherheit bringen und fauche den Menschen an. Er schaut nur wütend und geht aus dem Raum. Er hat die Decke nicht wieder auf den Käfig gelegt, deshalb kann ich erkennen, dass ich nicht alleine bin. In dem Raum stehen sehr viel mehr Käfige, mit Vögeln, Affen und anderen Tieren. Sie alle geben Laute von sich und ich kann ihre Todesangst spüren. Obwohl wir alle anders sind, verbindet uns doch etwas, nämlich die Sehnsucht nach Geborgenheit, Liebe und Heimat. Ich sehe mir gegenüber eine Affendame sitzen, die ihr kleines Kind an sich drückt. Sie schaut mich traurig an, aber ich kann nichts tun. Ich lege den Kopf auf meine Pfoten und denke traurig an die Zeit im Wald zurück. An meine Heimat, die gerade zerstört wird. An meine Familie, die ich so sehr vermisse. Ich will zurück zu ihnen, aber mir ist klar, dass dies unmöglich ist. Warum haben mich die Menschen nicht einfach getötet? Warum muss ich hier sitzen und nichts tun? Nach ein paar Stunden Schlaf kommen mehrere Menschen zurück. Sie sind laut und ich beobachte sie aufmerksam. Einer von ihnen geht von Käfig zu Käfig und schaut sich die Tiere darin prüfend an. Nun ist er bei mir angekommen und begutachtet mich. Ich blicke in seine hässlichen, blutunterlaufenen Augen und ahne Böses. Er deutet auf mich und ich sehe wie er sehr viele grüne Lappen aus der Tasche holt. Ein anderer schaut gierig auf die Lappen und greift nach ihnen. Ich verstehe nicht, was das soll und sehe gerade noch wie einer der Menschen auf mich zielt und ich wieder Stiche im Körper spüre. Ich werde wieder schlapp und sehe die Affendame mit leerem Blick in ihrem Käfig sitzen. Ihr Kind ist weg.
Ich weiß nicht mehr wie ich hier hergekommen bin. Ich kann mich kaum bewegen. Ich bin wie betäubt. Ich höre Menschen, wie sie sich bewegen, reden und in ihren Monstern fahren. Ich will weg von hier, aber auch wenn ich mich bewegen könnte, hindert mich das enge Halsband daran. Dieses ist mit einer Kette verbunden, die ein alter Mann in der Hand hält. Er sitzt auf einer Kiste und ruft anderen Menschen immer wieder etwas zu. Nach wenigen Minuten wird eine Frau mit ihrem Kind auf mich aufmerksam. Sie geht zu dem Mann, spricht mit ihm und drückt ihm grüne Lappen in die Hand. Dann kommt das kleine Mädchen auf mich zu und stellt sich neben mich. Ich spüre eine kleine Hand auf meinem Rücken. Ich will sie abschütteln und mir gelingt es den Kopf etwas zu drehen, doch ich erkenne wie der alte Mann auf einen Knopf drückt und spüre eine schmerzhaften Schlag, der mir fast die Luftzufuhr abschnürt. Das Kind merkt nichts davon und ich bleibe nun still. Die Mutter steht vor mir und hält einen kleinen, grauen Kasten in der Hand. Sie drückt auf einen Kopf und ein kleiner Blitz schießt aus dem Kasten, der mich blendet. So geht es fast den ganzen Tag weiter. Es kommen viele andere Menschen, manche nur, um mich anzufassen. Immer wenn ich mich etwas bewege, spüre ich immer einen heftigeren Schlag. Am Abend kommen immer weniger Menschen, bis niemand mehr kommt. Der Mann zählt die Lappen und sieht sehr zufrieden aus. Der Mann mit den blutunterlaufenen Augen kommt und nimmt sich alle Lappen, er gibt dem Alten nur einen. Ich werde wieder betäubt, aber so, dass ich noch einigermaßen laufen kann und werde mit der Kette in ein kleines Häuschen getrieben. Dort bekomme ich ein kleines Fleischstück, welches ich zögernd annehme.
Das ist wohl mein neues Leben. Jeden Tag dasselbe. Tag für Tag werde ich fast vollständig betäubt an die Kette gemacht und zurück an die Stelle gebracht, wo mich Menschen anfassen und mich anschauen. Ich will einfach nur sterben. Ich werde immer schwächer und verliere meinen Appetit.
Am letzten Tag meines Lebens sehe ich meine Familie. Ich vergesse alle Schmerzen und Leiden, die mir zugefügt wurden. Ich bin glücklich. Ich spiele mit meinem Bruder und mein gebrochenes Herz heilt langsam. Ich spüre den weichen, grasbewachsenen Boden unter meinen Pfoten. Der sanfte, erfrischende Wind zerzaust mein Fell. Der Wald ist wunderschön. Ohne die Menschen und ihre Monster ist der Wald ruhig und friedlich. Ich genieße die Stille. Es ist perfekt.
Ich bin jetzt endlich frei. Für immer frei.