Ladies and Gentlemen, dear Friends,
meine Damen und Herren, liebe Freunde!
"In these somewhat troublesome days when the great Mother Empire stands splendidly isolated in Europe" ("in diesen etwas unangenehmen Tagen, in denen das große Mutterreich/Großbritannien – in Europa wunderbar isoliert dasteht"), wie der kanadische Politiker George Eulas Foster formuliert hat (allerdings war das schon 1896, heute würde er das "splendidly" gewiss weglassen), da freue ich mich ganz besonders, dass ich aus Großbritannien – für Sie neuerdings ein sogenanntes "Drittland" – die Grenze nach Deutschland überwinden konnte und jetzt mit Ihnen zusammen feiern kann. Die Pfalz, die Heimat meines Mannes Arno, ist auch für mich inzwischen zu einer zweiten Heimat geworden.
Auch unser diesjähriger Preisträger ist ja aus einem Drittland gekommen. Grenzen zu überwinden, das tut und will ja auch die Kunst, die Literatur. Arno Reinfrank war ja auch ein Grenzgänger. Er hat Deutschland verlassen, um in London zu leben. Aber mit einem Bein und mit dem Herzen sowieso ist er Deutschland und seiner Muttersprache verbunden geblieben.
Man hat ihn den "Poeten der Fakten" genannt. Heute würde er bestimmt Gedichte über Lockdown und die Pandemie schreiben, und ich bin sicher, dass sich bald Schriftsteller dieses Themas annehmen werden. Es gibt Fakten und Falschmeldungen, facts und fake news genug.
Die Welt hat sich durch Covid 19 stark verändert.
Gerade erst haben wir zaghaft damit begonnen, wieder ins Theater, in Konzerte und Galerien und auch erneut mit Vergnügen einkaufen zu gehen, schon schwappt die nächste Welle heran. Angst und mangelhafte Informationen führten zu einer Antihaltung und zu angstgesteuertem Verhalten. Es wird schwer werden, das alles zu überwinden, aber wir müssen jetzt mit dem Virus leben, und lernen damit umzugehen.
Das Dasein des Künstlers kann zum Leben auf einer einsamen Insel werden. Denn viel Zeit zum Nachdenken – ohne Störungen und äußere Zwänge – sind wesentliche Voraussetzungen für das freie Fließen des kreativen Geistes.
Trotzdem haben viele Schriftsteller, bildende Künstler, Musiker und Kunsthandwerker unter dem erzwungenen Lockdown gelitten. Das ging von der Schreibblockade über Antriebslosigkeit bis zum Einkommensverlust wegen undurchführbar gewordener Projekte. Nicht jeder war bereit, sich zum LKW-Fahrer in England umschulen zu lassen. Die Auswirkungen auf die seelische und geistige Gesundheit waren zum Teil drastisch.
Wir in England haben durch den Brexit eine ganz spetzielle Situation. Boris Johnson schiebt alle Mängel, die der Brexit mit sich bringt, auf Covid 19. Dabei belaufen sich die Kosten des Brexit auf 4% des Bruttosozialprodukts, die Schätzungen bei Covid 19 auf nur 2%.
Sie glauben nicht, wie ich mich mit überflüssigem Papierkram herumschlagen musste, um auf den Kontinent zu reisen! Von den Kosten für Covid-Tests abgesehen. Aber die weitaus größere Belastung entsteht durch die bislang ungekannten Probleme, wenn es um den Warenverkehr bei lebenswichtigen Gütern geht.
Selbst um einen Brief oder ein Paket nach Deutschland zu senden, muss man viele Formulare ausfüllen und mit unglaublichen Verzögerungen von bis zu fünf Wochen rechnen.
Zum Beispiel ist es seit dem Brexit erheblich schwieriger geworden, Kunstwerke oder Orchester aufs Festland zu transportieren. Der Papierkrieg ist ungeheuerlich. Ich weiß das aus erster Hand von Freunden, die auf diesem Gebiet tätig sind.
Man findet kaum noch kundige Arbeitskräfte in Großbritannien. Als Unternehmerin wäre es mir heute kaum möglich, gutes Personal zu finden. Britannien hat in den letzten 20 Jahren nur noch unzulängliche Ausbildungs- und Weiterbildungsprogramme verfolgt, nun haben wir einen riesigen Bedarf an Facharbeitern. Uns fehlen die Arbeiter in der Landwirtschaft. Es fehlen 180.000 Ärzte und Pflegekräfte. Und im Gaststättengewerbe mangelt es an Hotelpersonal, an Köchen und Kellnern, weil so viele gute Profis aus dem Festlands-Europa nach Hause gegangen sind. Die Einheimischen möchten diese Jobs entweder nicht haben oder sie sind nicht gut genug dafür ausgebildet. Die Café-Kette Costa wollte die freien Stellen mit einheimischem Personal besetzen, aber nach zwei Tagen kamen die Leute nicht mehr, weil sie es nicht aus dem Bett geschafft hatten.
Bedauerlicherweise kommt es zu immer größeren Aggressionen gegenüber Ausländern, weil der Brexit den Briten offensichtlich das Recht gibt, unfreundlich zu sein und ihren Ärger unverhohlen zu zeigen.
Fazit: Durch den Brexit haben wir eine Art nationalen Selbstmord begangen im Namen der britischen Souveränität.
Zurück zur Pandemie – Gibt es auch eine positive Seite? Ich meine ja.
Für viele von uns waren die Einschränkungen durch den Lockdown eine Zeit, – in der lästige Verpflichtungen wegfielen, – in der wir uns auf das konzentrieren konnten, was wirklich wichtig ist und der soziale Druck in mancher Hinsicht geringer wurde. Das bot die Gelegenheit, unsere Ziele neu zu überdenken und neue kreative Wege zu finden, Werke zu schaffen und zu verkaufen. Es entstanden neue Wege der Darbietung und wir haben gelernt, uns mit befreundeten Künstlern virtuell zu vernetzen und das Internet zu nutzen.
Nun können wir unsere physischen Kontakte auf der Grundlage dieser neuen Einsichten wieder aufnehmen. Wir können Treffen mit Freunden und Kollegen mit neuer Freude am wirklichen Zusammensein feiern. Und ich bin so unglaublich stolz und glücklich, dass wir es geschafft haben, heute Abend "in echt" (oder wie man auf Deutsch sagt: "live") hier zur sechsten Arno-Reinfrank-Literatur-Preisverleihung zusammenzukommen, ohne den dreijährigen Rhythmus aufgeben zu müssen.
Trotz der unvermeidlichen Verschiebungen, die das Jahr 2020 mit sich brachte, konnten wir – dank des Speyrer Magistrats und besonders dank Matthias Nowack, – im vergangenen November eine Jurysitzung von Angesicht zu Angesicht abhalten, auf welcher wir uns auf Tijan Sila als Preisträger geeinigt haben, und zwar für seinen Roman "Die Fahne der Wünsche".
Die Diskussion war lang und intensiv, und von unserer Shortlist mit sechs Autoren hatte zunächst jedes Jurymitglied seinen eigenen Favoriten. Aber da wir glücklicherweise alle zusammen im selben Raum waren und Zeit genug zur Besprechung hatten, führte die lange Diskussion zu einem einstimmigen Ergebnis. Ich glaube nicht, dass wir diesen befriedigenden Ausgang mit einer Zoom-Konferenz per Internet und Bildschirm erreicht hätten.
Ich möchte die Stadt Speyer loben und preisen für ihre "Speyer-Kultur-Unterstützungs-Initiative", mit der sie während der Covid-Pandemie über 100.000 Euro als "Soforthilfe für freischaffende Speyerer Künstlerinnen und Künstler" zur Verfügung gestellt hat.
So ist es eine große Freude für mich, heute Abend hier zu sein! Und bevor Ingo Rüdiger die Laudatio für Tijan Sila spricht, wird uns Christian Straube noch eine Eigenkomposition spielen. Ich will diese Gelegenheit nutzen Christian Straube für seinen musikalischen Beitrag ganz herzlich zu danken.