Arno Reinfrank

Ausstellungseröffnung Zwischen zwei Welten

Grußwort vom Jeanette Koch am 21. November 2024 in der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer

Jeanette Koch
Jeanette Koch

Liebe Frau Bahrs, Lieber Dr Schlechter, Ladies and Gentlemen, Liebe Freunde,

wissen Sie eigentlich, womit sich ein erfolgreicher Jockey nach dem Rennen entspannt? Wissen Sie nicht? Mit Gedichten natürlich!  Diese ungewöhnliche Aussage war wichtig genug, um zur Prime Time in den morgendlichen Sportnachrichten erwähnt zu werden. Meine Phantasie ist sofort darauf angesprungen. Bei besagtem Jockey handelt es sich um den bei uns zu Lande berühmten irischen Champion Oisin Murphy. Im Oktober hat er zum 4. Mal die Champion Jockey Trophy gewonnen. Aus diesem Anlass wurde er vom BBC im Radio auch über seine Liebe zur Poesie befragt.

Seine Antwort: "(Ich entspanne mich) mit Gedichten – von Sylvia Plath. Die sind zwar ein bisschen tiefgründig, manche würden sogar sagen, dunkel, aber sie eröffnen dir einen neuen Blick auf die Dinge, vor allem, nachdem du eine Weile auf dem Rücken eines Pferdes herumgaloppiert bist."

Wirkt sich hier aus, dass ein Ire nun mal Poesie und Musik in den Genen hat? Sozusagen mit der Muttermilch eingesogen hat? Oder war es der elterliche Einfluss? Oder vielleicht einfach eine Liebe zur Lyrik, die sich im Lauf der Zeit entwickelt hat? Oisin Murphy, ein Spitzensportler von 29 Jahren, der außer Irisch und Englisch auch Deutsch und Französisch spricht, führte in diesem Interview aus, dass er Gedichte schon in der Schule geliebt hätte ...

Und das ist nun der Knackpunkt in meiner Rede.

Heutzutage, und speziell in Großbritannien während der letzten 10 Jahre, erfährt der Unterricht in Kunst und Geistes-Wissenschaften in den Schulen einen dramatischen Niedergang. Fächer wie Sprachen, Kunst und Musik wurden in den Lehrplänen an den Rand gedrängt. Und nur die wenigsten Kinder lernen ganz selbstverständlich ein Musikinstrument und können in einem Schulorchester spielen. Das geht auch nur dann, wenn ihre ohnehin schon belasteten Eltern Privatstunden bezahlen können.  Früher gab es mal eine Zeit, da hat man anstrengende Kinder gerne in den Kunstunterricht abgeschoben, da waren sie dann wenigstens aus dem Weg.

Wichtig sind diese Fächer für Kinder jedoch schon ab der Grundschule, um ihnen früh die Liebe zur Kreativität und Entdeckungs-Freude zu vermitteln und zu wecken. Kunst ist, denke ich, ein Schlüssel für eine zivilisierte und gesunde Gesellschaft als Gegengewicht zu den geldgierigen, unmenschlichen, in die Einsamkeit führenden Faktoren unseres – von der Elektronik beherrschten – Lebensstils:  überall Handys und Ballerspiele etc.

Kinder brauchen die Inspiration durch Erfahrungen. Theaterbesuche, oder das Erlernen eines Musikinstruments, nachdem man ein Familienmitglied oder einen bewunderten Profi dabei erlebt hat, können in der kindlichen Seele den Wunsch entstehen lassen, auch so etwas zu erlernen.  Mein Freund Jack, der hier im Publikum sitzt, hat mir erzählt, wie er seinen zwölfjährigen Sohn mal mit ins Ballett geschleppt hat. Er hat fest damit gerechnet, dass der Junge jede Minute davon hassen würde, aber das Gegenteil war der Fall: Sein Sohn war total bezaubert und hat jede Minute davon genossen!

(Er ist dann allerdings später Rechtsanwalt geworden).

 

Kinder müssen Erfahrungen machen dürfen, die kreativ und natürlich sind. Es ist alarm-ierend, wie viele seelische Probleme es heute schon bei kleinen Kindern gibt. Mobbing, Missbrauch, Ein-schüchterungen durch Handys und soziale Medien sind geradezu kriminell. Überall sieht man Leute herumlaufen, die so‘n Ding in der Hand oder am Ohr haben. Im Vereinigten Königreich gibt es Bestrebungen, Smartphones aus den Schulen zu verbannen, zumindest für Kids unter 16 Jahren. ….

Arno hat immer sehr gerne Lesungen aus seinen Werken in Schulen abgehalten. Und die Schülerinnen und Schüler waren immer begeistert. Daher ist die Verleihung des Jugendpreises alle zwei Jahre in Ludwigshafen von großer Bedeutung für sein Andenken. Die Schulen engagieren sich heute viel stärker für dieses Projekt, und die Teilnehmerzahlen steigen.

 

Vorgestern – vor 27 Jahren – hatte Arno in sein Tagebuch FIN DE SIECLE notiert:

„Hackney, 19. Nov. '97
Beim Schreiben zieht die Gegenwart wie selbstverständlich die Vergangenheit zu Rat. Kein heutiges Wort, das nicht bereits gestern oder sogar schon vor Jahren gedacht war. Vorgänge von vor Jahrtausenden, Tatsachen von vor Millionen Jahren fließen ins Heutige ein.

Beim Schreiben ist die Hoffnung auf kommende Güte und Gerechtigkeit gegenwärtig, auch die Hoffnung auf den Fortbestand der Kunst des Lesens.
Das Morgen zieht in vorhersehbarer Gestalt nur herauf, solange Heute zum Gestern, und wie gestern das Geschriebene gelesen wird.“

 

Arno war immer optimistisch und pessimistisch zugleich. Er war immer konservativ und progressiv. Auch in dieser Beziehung lebte er „zwischen zwei Welten“. Seine Werke schrieb er zwar nicht mehr mit dem Gänsekiel, aber immer auf einer uralten Schreibmaschine. Ich glaube, an einen Laptop hätte er sich nie gewöhnen können. Sein Blick auf die Gegenwart war scharf und kritisch, aber stets zukunftsorientiert und optimistisch, ja, ich glaube man darf in diesem Zusammenhang ruhig auch das Wort: „fortschritts-gläubig“ verwenden. Immer verbanden sich bei ihm Skepsis und dunkle Ahnung mit Optimismus. Bewältigung der Vergangenheit und Zukunftshoffnung waren für ihn keine Gegensätze. In diesem Spannungsverhältnis leben wir ständig, auch heute. Dunkle Wolken und Kriege, Klima-katastrophen und Erderwärmung – zugleich jedoch eine wachsende Bewegung zur Bewältigung der anstehenden Probleme überall in der Welt (außer in den USA zur Zeit).

Ein Wettlauf hat begonnen.

In diesem Zusammenhang sehe ich vor allem auch die Exposition der Landesbibliothek Speyer zu Arno Reinfranks Leben und Werk. Ihm sind ja damit in einem Vierteljahrhundert schon drei Ausstellungen gewidmet worden. Die erste wunderbare Präsentation hatte Dr. Vorderstemann schon 2004 konzipiert. Hier, in der Landesbibliothek wird Reinfranks Nachlass verwahrt. Sie ist ebenso die Grundlage für die genauso wunderschöne zweite Ausstellung zu Arno Reinfrank aus Anlass seines 80sten Geburtstages vor zehn Jahren sowie für die heutige zu seinem 90sten. Dafür danke ich Dr. Armin Schlechter von Herzen! 

Möge die Ausstellung neugierig machen auf Leben und Werk des Pfälzer Schriftstellers in London und eine Anregung sein, sich wieder mehr mit Gedichten und Literatur überhaupt zu beschäftigen. Poesie gehört nämlich zu den Stimulanzien, die auch bei einem hohen Abhängigkeits-Potential nicht gesundheits-schädlich sind.

Ich danke Ihnen!